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Halvers
Kolumne

 
30.08.2017

Für einen Bundestagswahlkampf wie im Schlaflabor ist die Lage zu ernst

Ich erinnere mich noch gut an frühere Bundestagswahlkämpfe. Damals ging es noch mit  viel Schmackes um Richtungsstreite z.B. „Freiheit statt Sozialismus“. Und heute? Gegenüber der Dynamik des deutschen Wahlkampfs ist die Schnecke ein wildes Tier. Das liegt zunächst daran, dass sich die etablierten Parteien mittlerweile so in der politischen Mitte knubbeln, dass man fast Platzangst bekommt. Die Politiker wollen politisch korrekt sein, bloß nicht durch klare Kante negativ auffallen. Das erklärt auch, warum alle Parteien wirtschaftsfreundlich, sozial und auch noch ökologisch sind. Mich erinnert das an Pauschalreisen mit Flug, Hotel und Mietwagen. Selbst die heiligsten parteipolitischen Markenkerne werden immer mehr säkularisiert.

Früher unterschieden sich die Parteien im Prinzip, heute nur noch im Detail. Bei so viel „In der Nacht sind alle Katzen grau“-Übereinstimmung versuchen sich zwar einige Parteien durch z.B. heftige Kritik an den Präsidenten der USA, Russlands oder der Türkei vom braveren Mainstream abzuheben. Doch da es Deutschland wirtschaftlich gut geht, ist dies laut Umfragen wohl zu wenig, um Wechselstimmung zu erzeugen. In diesen allgemeinen Polit-Dämmerschlaf passen auch die inhaltsleeren Wahlplakate, die ich mir täglich auf dem Weg zur Arbeit anschauen muss. Ich frage mich, ob die Marketing-Agenturen Kampagnen für Parteien oder für Schlafmittel kreieren sollten.

Selbst wenn Deutschland heute gut da steht, ist heute morgen schon gestern. Was tun die Parteien denn konkret dafür, dass das morgen auch noch so ist? Sollte der Bundestagswahlkampf nicht Kampfarena für die besten Zukunftskonzepte sein? Jede Partei müsste wie ein Unternehmen an der Börse für ihre Vision werben. Ruht es sich auf seinen Lorbeeren aus, wird die Aktie mit Kursverfall bestraft. Auch wenn Parteien nicht börsennotiert sind, sollten sie sich dennoch nicht nur mit Laubsägearbeiten beschäftigen, sondern angesichts der lauernden Probleme dicke Bretter bohren.

Geopolitisch muss Europa Hammer, nicht Amboss sein

Vor allem auf Deutschland kommt die Aufgabe zu, aus Europa mehr zu machen als nur eine überdimensionierte Gesellschaft zur Rettung angeschlagener Staaten und Banken. Geopolitisch muss Europa mit eigenem Stallgeruch gegen die markanten amerikanischen Duftmarken der Donald Horror Picture Show anstinken. Ebenso müssen wir die Bewältigung der Flüchtlingskrise selbst stemmen und die Sicherung der EU-Außengrenzen keinen Dritten überlassen, die sich wie Kuckuckskinder im fremden Nest aufführen. Hier hat Europa seine Hausaufgaben immer noch nicht gemacht. Stattdessen führen sich die Europäer untereinander wie Kleinkinder auf, die sich ihre Sandburgen gegenseitig zerstören. Ein starkes Signal von Europa in die Welt sieht anders aus.

Eine europäische Musketier-Haltung muss auch gegenüber China gezeigt werden. Sich wegen amerikanischem Liebesentzug bedenkenlos China anzuvertrauen, wäre so, als würde man sich einen hungrigen Alligator als Schoßhund zulegen. Um ihn gewogen zu stimmen, wird er verlangen, unsere industriellen Know How-Träger aufzufressen. Ja auch China „trumpt“ sehr gerne, denkt bei seiner wirtschaftlichen Weiterentwicklung nur an einen, an sich.

Die EU muss geostrategisch ein potenter Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sein, der wie bei Vollkasko auch bei fremdverschuldeten Auffahrunfällen durch z.B. Amerika zahlt. Ohne starkes Europa ist selbst Deutschland nicht stark.

Was außer Europa freundlichen Plattitüden hören wir dazu im Wahlkampf?

Wie sichert Deutschland seinen Wohlstand auch noch morgen?

Mit Innovation, Zuverlässigkeit und Qualität hat Deutschland wie kein anderes Land die Industriewelt beherrscht. Das schlägt sich auch in guten Arbeitsmarktdaten nieder. Allerdings muss man auch den prekären Niedriglohnsektor, Zweitjobs und das Thema Leiharbeitsverträge erwähnen. Wie in Amerika ist auch in Deutschland das Jobwunder vor allem quantitativer, nicht unbedingt qualitativer Natur.

Mit unseren Schlüsseltechnologien spielt man nicht. Im Wahlkampf tut die deutsche Politik aber alles, um Besitzer und zukünftige Autofahrer zu verunsichern. Einerseits werden Verbrennungsmotoren als Dinosaurier verschrien. Andererseits will man an dieser Technologie noch viele Jahre festhalten. Was denn jetzt? Die unselige Diskussion über wie viel Nachrüstung sinnvoll ist, die massenhafte Enteignung durch Fahrverbote und öko-ideologische Feldzüge gegen den Diesel sind Tritte gegen das Schienbein der deutschen Autoindustrie. Wir sprechen von mindestens 800.000 Arbeitsplätzen. Was spricht dagegen, an neuer sauberer Diesel-Technologie, E-Mobilität, Brennstoffzelle, etc. gleichzeitig zu arbeiten und im Wahlkampf einfach mal den Mund zu halten.

Und dann kommt noch eine gewaltige Industrierevolution auf uns zu: Digitalisierung. In dieser Disziplin liegen Amerika und Asien vorne. Deutschland hat zu sehr auf old economy vertraut. Diese Lücke muss geschlossen werden. Ansonsten könnte die Konkurrenz hier ähnlich dominierende Standards setzen wie Deutschland früher mit „Vorsprung durch Technik“.

Aber wo bleibt denn die deutsche Digitalisierungs-Agenda? Im Wahlkampf werden von zu vielen Bedenkenträgern vor allem die Risiken diskutiert. Die gibt es natürlich auch. Aber wenn wir aus Angst Chancen anderen überlassen, verlieren wir dramatisch an Wohlstand. Auf Deutschland wartet niemand. Technikfreundlichkeit  ist auch morgen unsere einzige Chance. Hieran muss sich auch unser Bildungssystem konsequent orientieren, ganz davon abgesehen, dass Schultoiletten tatsächlich funktionieren sollten.

Stillstand ist Rückschritt. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit! Das weiß man aus der Geschichte des Römischen Reichs.

Im Wahlkampf darf purer Innovationsalarm keinen Platz haben. Weg mit den Brettern vor dem Kopf.

Unsere Nachkommen haben immer weniger Auskommen mit ihrem Alters-Einkommen

In Deutschland tickt die Zeitbombe Altersarmut. Irgendwann bewegt sich die gesetzliche Rente in Richtung Hartz IV. Und was hört man dazu im deutschen Wahlkampf? Die Rente soll nicht unter bestimmte Niveaus fallen. Prima, doch kann man Rentenversicherungsbeiträge nicht beliebig steigern, um Kaufkraft und insbesondere Arbeitskosten zu schonen. Über demographische Fakten und die damit zusammenhängende Mathematik können sich selbst Politiker nicht hinwegsetzen. Auch Riester ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Fatalerweise kommt die unerschütterliche Liebe der Deutschen zum masochistischen Zinssparen hinzu. Der schwarze Zins-Peter wird Mario Draghi zugeschoben. Gleichzeitig rühmt man sich aber der Überschüsse im Staatshaushalt, die eben der gute Mario „verursacht“ hat.

Die alten Zöpfe in der Altersvorsorge müssen abgeschnitten werden. Es geht um die Begrenzung von Wohlstandsverlusten im Alter, damit Deutschland nicht massenhaft in die Sozialhilfe abrutscht. Neben der Förderung der eigengenutzten Immobilie gehören auch Aktien dazu. Natürlich sind sie mit Kursrisiken behaftet. Schaut man sich jedoch selbst die großen Aktieneinbrüche der Vergangenheit an, stellt man fest, dass sie ausnahmslos nicht nur wettgemacht, sondern überkompensiert wurden. Daneben nahmen Dauer und Intensität von Kurseinbrüchen immer mehr ab.

Im Übrigen sind Kursverluste in der Ansparzeit wenig tragisch. Denn bei sinkenden Kursen erhält man für seine gleichbleibenden Spar- mehr Aktienanteile, die dann bei Börsenerholung das Vermögen anheben wie die Flut das Schiff. Diese Argumente machen Aktiensparpläne so attraktiv, dass Vater Staat diese zur Alterssicherung unbedingt fördern muss.

Zur Risikobegrenzung sollte der Anlagefokus schwerpunktmäßig auf Aktien-Fonds bzw. Aktien-ETF‘s aus dem Euro-Raum liegen, um Währungsverluste zu verhindern. Die Aktiensparpläne sollten am besten auf den großen Leitindices basieren, um das Einzeltitelrisiko zu mildern. Auch sollten die Einzahlungen regelmäßig erfolgen, um das Verlustrisiko größerer Einmalanlagen zu umgehen. Bei der Aktienauswahl sollte es zudem um Titel mit stabilem Geschäftsmodell gehen wie Essen, Trinken, Wohnen, Pharma, Mobilität oder Kommunikation. Das sind menschliche Grundbedürfnisse, die unbedingt befriedigt werden müssen. Diese Titel bieten übrigens hohe Dividenden, die im Ansparzeitraum die verloren gegangene Sinnlichkeit des Zinseszinseffekts durch den Wiederanlageeffekt von Ausschüttungen ersetzen. Dividendenstarke Aktien sind zudem weniger anfällig für Kursverluste.

Der Staat sollte selbst konkrete Vermögensbildungsfonds auf Aktien anbieten, um den individuellen Anlageaufwand zu reduzieren. Da Kursverluste bei zunehmendem Aktienvermögen in immer größerem Ausmaß negativ zu Buche schlagen, sollten mit sich näherndem Rentenbeginn das Aktienrisiko heruntergefahren und Kursgewinne durch Verkäufe immer mehr realisiert werden. Hierbei ähneln Aktiensparpläne regelmäßigen Anlagen in guten Wein. Zum Ende der Auffüllphase geht man in den Weinkeller und fängt an, die Flaschen von unten zu ziehen, um den Inhalt zu genießen.

Um jetzt breite Bevölkerungsgruppen für alterssichernde Aktienansparpläne zu gewinnen, muss der Staat mit der Steuerkeule nachhelfen: Einen ordentlichen monatlichen Betrag sollten die Deutschen aus ihrem Steuerbrutto in Aktien ansparen können. Das angesparte Vermögen sollte ebenso bei seinem späteren Verzehr steuerfrei bleiben. Den staatlichen Einnahmeverlust aufgrund der steuerlichen Förderung sollte die Politik gerne in Kauf nehmen. Immerhin wirkt sie der späteren Zahlung von Sozialhilfe entgegen.

Diese innovative „Rentenpolitik“ wäre eine Revolution. Aber basieren auf unseren börsennotierten deutschen Aktiengesellschaften nicht auch jede Menge Wohlstand und Arbeitsplätze? Sind unsere Politiker nicht zu Recht stolz auf unsere deutschen Industrieperlen? Was ist dann so falsch daran, das breite Publikum an diesem substanzstarken Produktivvermögen zu beteiligen?

Die Umsetzung dieser Altersvorsorgereformen ist politisch gewiss nicht einfach. Doch zur Entschärfung der tickenden Zeitbombe „Altersarmut“ sind jede Anstrengung und das Ablegen vielfach dümmlicher ideologischer Argumente dringend geboten. Es geht um keine politische Liebesbeziehung zu Aktien, aber eine Zweckehe wäre vernünftig. Denn nicht jeder bekommt eine schöne Pension wie Politiker.

Haben Sie dazu etwas im Wahlkampf gehört? Das war eine rhetorische Frage.

Mein Wahlkampfmotto lautet: Leistung muss sich wieder lohnen, insbesondere für Politiker!

Insgesamt hat Deutschland viele strukturelle Probleme, die man mit einem einschläfernden Wahlkampf nicht einfach so unter den Teppich kehren darf. Es geht um unser aller zukünftiges Wohl. Ansonsten verkommen Wahlkampfthesen von sozialer Gerechtigkeit in einem Deutschland, in dem wir gut und gerne leben, zu Phrasen. Von Nix kommt Nix!