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Halvers
Kolumne

 
06.09.2017

Wenn die EZB versucht, von Bier und Schnaps auf Limo und Saft umzuschalten

Bislang konnte man Mario Draghis Geldpolitik mit drei Worten umschreiben: Freibier für alle oder sollte man sogar von Koma-Saufen sprechen? Immerhin hat diese Happy Hour jede Finanz-, Schulden- und Euro-Krise eingedämmt. Allerdings wurden auch die Finanzmärkte in einen Ballermann-ähnlichen Rausch versetzt. Mittlerweile gibt es sogar für Hochzins- und Ramschanleihen nur noch so mickrige Renditen, zu denen man früher Bundeswertpapiere nicht mit der Kneifzange angepackt hätte. Und Preise für Häuser und selbst normales Ackerland lassen sich nur noch ab zwei Promille rechtfertigen.

Natürlich ist sich auch Mario Draghi der Risiken dieser Trunksucht bewusst. Denn die Blasenbildungen bei Anlageklassen werden mit jedem Tag seiner Druckbetankung größer. Wäre jetzt - nach Rettung des Euro-Vaterlands vor Finanzkrisen - nicht der passende Zeitpunkt für eine Sperrstunde gekommen? Immerhin hat er seine Mission erfüllt. Wäre es also nicht sogar im Interesse Mario Draghis, bis zum Ende seiner Amtszeit 2019 die Geldpolitik wieder auf Entzug auszurichten? Dann hätte sich der Kreis wieder geschlossen. Der Herr (Draghi) hat es gegeben, der Herr (Draghi) hat es genommen.

Alkoholentzug kann hässliche Folgen haben

Aber könnte der alkoholentwöhnte eurozonale Patient depressiv werden und könnte es zu schweren konjunkturellen und finanzwirtschaftlichen Entzugserscheinungen kommen?

Ohnehin gibt es nicht mehr die typischen volkswirtschaftlichen Verlaufsmuster. In früheren Zeiten hätte die Weltwirtschaft angesichts der heutigen geldpolitischen Überdüngung Wirtschaftswachstums- und Inflationsraten wie in den Schwellenländern gehabt. Die EZB mag sich über ihre Allmacht an den Finanzmärkten freuen, aber konjunkturell ist sie über ihre Ohnmacht, nachhaltiges Wachstum und Inflation zu schaffen, sehr ernüchtert. Umgekehrt hat Mario Draghi aber nicht vergessen, dass der kalte geldpolitische Entzug immer verheerende konjunkturelle Wirkungen hatte.

Überhaupt hängt in unserer heutigen globalen Welt doch alles von allem ab. Wie in einem Spinnennetz ist jede Erschütterung irgendwo überall zu spüren. Nicht auszudenken, wenn das dunkle Schwänchen aus Nordkorea zu einem großen dicken schwarzen Schwan wird. Was blüht uns noch vom Trio Infernale Trump, Putin und Erdogan und wie geht es beim Brexit weiter? Heutzutage ist man vielen konjunkturellen und finanzwirtschaftlichen Risiken ausgesetzt wie Pflaumenkuchen einem Schwarm Wespen. Wehe, wenn sie stechen.

Und warum sollte sich die EZB angesichts dieser Risiken zu früh auf Enthaltsamkeit festlegen, von der „Freibier für alle“-Haltung verabschieden und damit im Extremfall ihr gesamtes Rettungswerk mit trübsinniger Ernüchterung gefährden?

Der starke Euro nimmt der EZB geldpolitisch-restriktive Drecksarbeit ab

Nach Jahren der Schwäche hat der Euro gegenüber allen großen Handelswährungen kräftig zugelegt. Die Gründe sind dabei wenig überzeugend: Seit April 2017 hat die EZB ihre Anleihekäufe zwar von zuvor 80 Mrd. auf 60 Mrd. reduziert. Zum Vergleich: Die US-Notenbank kauft gar keine Anleihen mehr.

Der Hintergrund ist, dass sich die Exportwelt in einem Währungsabwertungswettlauf befindet. Kein Wunder, wenn der Weltkonjunkturkuchen kein kalorienreicher  Sahne-, sondern nur noch ein einfacher Rührkuchen ist, muss jedes Land sehen, wie es außenwirtschaftlich satt wird. Exportbeschleunigung über Währungsabwertung war doch schon immer ein gern genutztes Instrument, das jetzt auch Amerika liebgewonnen hat. Warum sollte Trump denn dem handelsüberschüssigen Deutschland die Exporttüren über einen starken US-Dollar noch weiter öffnen? Ebenso genießen Japan, Korea und mittlerweile das mit Europa nicht mehr so innig vereinte Vereinte Königreich ihre gegenüber Euro abwertenden Exportwährungen wie unsereins die letzten schönen Sommertage.

Insgesamt liegt der Euro gemessen am Durchschnitt aller wichtigen Exportkonkurrenzwährungen wieder in etwa auf dem Niveau, dass er vor Beginn von The Big Easy, d.h. der geldpolitischen Lockerheit der EZB, hatte. Damit hemmt die starke Gemeinschaftswährung importierte Preissteigerungen bzw. erhöht den desinflationären Trend von in US-Dollar notierenden Rohstoffen.

Wenn einem so viel Euro-Stärke wird beschert, ist das keine Entblähung der Notenbilanz wert

Die EZB muss also gar keine frühe und klare Entblähung ihrer bis zum Bersten mit Anleihen gefüllten Bilanz betreiben. Denn mit dann steigenden Anleiherenditen strömte so viel Kapital in die Eurozone wie Bier in die Kehlen von Fans nach einem Sieg ihrer heimischen Fußballmannschaft. Dies würde den Euro unnötig aufwerten. In diesem Zusammenhang ist an Leitzinserhöhungen sowieso nicht zu denken. Denn warum sollte sich die Eurozone das eigene handelspolitische Leben schwer und das der Exportkonkurrenz leicht machen. Wenn Amerika egoistisch ist, müssen wir nicht den barmherzigen Samariter spielen. Auch wir haben es nicht vom Geben.  

Da macht es doch für die EZB viel mehr Sinn, die US-Notenbank geldpolitisch-restriktiv vorlaufen zu lassen. Fed-Frau oder -Mann, geh du voran! Grund dazu hat die Fed allerdings wenig. Die US-Konjunktur ist kein Blockbuster. Und auch die Trumpschen Wirtschaftsvisionen haben in der Realität bislang so wenig Substanz wie Nebelfelder, die er aber gerne als Bauland verkaufen würde. Und wenn die weißhaarige Frau Yellen drüben nichts macht, muss auch der dunkelhaarige Herr Draghi hüben nichts tun. Bloß nicht selbst aus der Deckung treten!

Wer immer noch Sorgen hat, hat auch immer noch Likör!

So bleibt es wohl bei den bekannten Inhalten in den Hochämtern der EZB, die sich offiziell Sitzungen nennen. Man wird zwar offiziell von Enthaltsamkeit beim Alkohol sprechen. Doch tatsächlich wird man der Euro-Konjunktur weiter „Stoff“ verabreichen, damit sich auch ein nachhaltiger Inflationsdruck aufbauen kann. Übrigens, wie sonst, wenn nicht mit günstigen Kreditzinsen, will man Staatsschulden beherrschbar machen? Das ist dann nicht zuletzt der Stoff, der verhindert, dass sozialpolitische Winde zu politischen oder gar systemischen Orkanen in der Eurozone werden.

Mario Draghis Politik ändert sich also nur auf der verbalen Ebene: Wasser predigen, Wein saufen!