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Der Markt
unter der Lupe

 
14.09.2018

Mario Draghi bleibt der Meister der Verklärung

Überraschungen sucht man bei der EZB vergebens. Die jetzt beschlossene Verlängerung des Anleihekaufprogramms von September bis Dezember 2018 bei gesenktem monatlichen Volumen avisierte man bereits auf der Juni-Sitzung. Ebenso wurde erneut die tatsächliche geldpolitische Wende - die Einstellung der Anleihekäufe - vertagt. Abgeschwächte Wachstumsperspektiven aufgrund des Handelskonflikts, der Schwellenländer- und italienischen Schuldenkrise sowie offener Brexit-Fragen lassen die EZB bis Dezember auf Zeit spielen. Und selbst dann wird die EZB den europäischen Finanzmärkten keine Steine in den Weg legen. Ihre Nullzins-Politik wird sie noch lange beibehalten.

Zinswende der EZB - Nur die Schnecke ist langsamer

Erwartungsgemäß hat die EZB ihr ursprünglich bis Ende September terminiertes Anleihekaufprogramm bis Dezember 2018 bei einem monatlich von 30 auf 15 Mrd. Euro gesenkten Volumen verlängert. Und auch die Beendigung der Käufe zum Ende des Jahres wurde in Aussicht gestellt.

Doch hat Mario Draghi die Gabe, selbst diese bereits bekannte geldpolitische Verschärfung durch entgegengesetzte Effekte zu entspannen. So verschafft die Konjunkturdelle viel Beinfreiheit, die geldpolitische Trendwende überschaubar zu halten. Da man sich an konkreten Konjunkturdaten orientieren will, um z.B. auf handelspolitische Risiken reagieren zu können, bleiben Handlungsspielräume groß.

Statt durch konjunkturelle wird die EZB eher durch regulatorische Gründe zum Ausstieg aus dem Kaufprogramm gezwungen. Insbesondere bei deutschen Staatstiteln stößt sie bald an die Ankaufobergrenze, wonach sie nicht mehr als ein Drittel der Anleihen eines Euro-Staates besitzen darf, um sich nicht dem Vorwurf der unerlaubten Staatsfinanzierung auszusetzen. Aber wurde diese Regel in Euro-Ländern wie Italien tatsächlich lupenrein angewendet? Im Bedarfsfall hat man vor der Verweltlichung der einst heiligen Stabilitätskriterien doch noch nie zurückgeschreckt.  

Das Beispiel Italien belegt den Handlungsdruck der EZB, dem Aufwärtstrend von Anleiherenditen durch Wiederanlage fällig werdender Staatstitel entgegenzuwirken. Denn eine neue römische Schuldenkrise würde die Zerstörungskraft der griechischen in puncto Europa weit in den Schatten stellen. Auch wenn sie sich hierbei noch bedeckt hält, ist es an den Zinsmärkten eine Binsenweisheit, dass die EZB alle römischen Finanzierungsnöte zerstreuen würde. Damit begünstigt sie die fortgesetzte Beruhigung der jahresanfänglichen Zinserhöhungsängste und schwächt nicht zuletzt ein Handicap für die Aktienmärkte.

Mit einem Teelöffel Zucker schluckt man jede geldpolitische Medizin

Das potenzielle Ende der Anleiheaufkäufe versüßt die EZB auch mit der klaren Festlegung, ihre „Leitzinsen mindestens bis über den Sommer 2019 auf dem aktuellen Niveau zu belassen und auf jeden Fall so lange wie nötig“. Die EZB hält ihr Inflationsziel von zwei Prozent gemäß ihren Projektionen (2018, 2019 und 2020 jeweils 1,7 Prozent) selbst im Jahr 2020 für nicht erreichbar. Und seit wann werden bei unzureichender Inflation die Leitzinsen erhöht? Der Preisdruck in der Eurozone scheint im Juli sogar seinen Zenit überschritten zu haben, was rückläufige Inflationserwartungen unterstreichen. Da verwundert es nicht, dass der EZB-Präsident den Sieg über eine zu schwache Inflation - er ist wenig enttäuscht - noch nicht vermeldet.

Grafik der Woche

Die insofern auf Eis liegenden Zinserhöhungserwartungen untermauert Draghi nicht zuletzt mit gesenkten Wachstumsaussichten (2018 2,0 nach 2,1 und 2019 1,8 nach 1,9 Prozent; 2020 1,7 Prozent) und explizit benannten Abwärtsrisiken, die sich aus der Eintrübung der Konjunkturstimmung in der Eurozone vor allem im Verarbeitenden Gewerbe ableiten. Dabei betont Draghi vor allem die Konjunkturrisiken eines Handelskonflikts zwischen der EU und den USA, Währungsturbulenzen in den Schwellenländern und wirtschaftliche Reibungsverluste durch den Brexit. Geldpolitiker müssen solche Aussagen nicht tätigen, aber wenn sie so fallen, ist die Botschaft eindeutig: Der Zinserhöhungsbeginn liegt noch in weiter Ferne.

Der schwache Euro passt zur Taubenhaftigkeit der EZB

Dieser verzögerte Start der Zinswende - dem dann ein sehr überschaubarer Zinserhöhungszyklus folgt - und geringe Aussichten auf einen sich einengenden Renditevorsprung Amerikas gegenüber Europa sorgen nicht für Aufwertungsphantasien des Euros gegenüber US-Dollar.

Immerhin, so verschafft der exportfreundliche Euro den europäischen und deutschen Aktienmärkten eine konjunkturelle Sorgenpause.

Marktstimmung - Noch kleben Krisen wie Kaugummi am Schuh

In puncto Handelsstreit der USA mit China bleibt US-Präsident Trump im Wechselstrommodus. Mal schürt er mit der Androhung einer schrittweisen Umsetzung von Importzöllen auf fast alle Exportgüter Chinas weltwirtschaftliche Wachstumsängste. Mal werden diese durch entspanntere Zwischentöne von Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow aufgehellt, wonach man vorerst keine weiteren Zölle plant. Unter Führung von US-Finanzminister Mnuchin ist sogar eine weitere Verhandlungsrunde geplant.

Zwar bleibt die wirtschaftspolitische Unsicherheit laut Global Economic Policy Uncertainty Index - u.a. gemessen an Zeitungsberichten über (wirtschafts-)politische Unsicherheit - auf erhöhtem Niveau. Doch allmählich nutzt sich der Schrecken des Themas Handelskonflikt ab. So mancher amerikanische Wirtschaftsexperte spricht bereits davon, dass Hunde, die laut bellen, nicht wirklich beißen. Beruhigungseffekte äußern sich tatsächlich in verhaltenen Kursschwankungen beim exportsensitiven deutschen Leitindex DAX.

Die Schwellenländer sorgen sicherlich für Bedenken. Aber eine differenzierte Einschätzung wird durchaus vorgenommen. Nicht alle krisengeplagten Staaten wie Argentinien und die Türkei werden in einen Topf mit fundamental starken Emerging Markets geworfen. Apropos Türkei: Mit der Erhöhung ihres Notenbankzinses von 17,75 auf 24 Prozent ergreift die türkische Notenbank einen längst überfälligen Schritt zur Stabilisierung der türkischen Lira. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass sie sich damit souverän gegen Präsident Erdogan stellt, der sich bislang vehement gegen Zinssteigerungen ausgesprochen hatte und sogar -senkungen forderte. Gibt man der Kraft des Faktischen nach oder stellen sich politische Fragen? Wie auch immer, weitere, einschneidende Reformmaßnahmen bleiben eine unabdingbare Bringschuld der Regierung zur nachhaltigen Gesundung der türkischen Wirtschaft. 

Die noch bis Juli massiven Konjunkturbefürchtungen der vom ZEW befragten Finanzanalysten sind seitdem optimistischeren Erwartungen für die Eurozone und Deutschland gewichen. Das neue Handelsabkommen zwischen den USA und Mexiko nährt Hoffnungen auch auf eine baldige Einigung zwischen Amerika und der EU.  

Zuletzt verlor auch die Unsicherheit um den Brexit-Prozess an Drohpotenzial. Ohne Details zu nennen, stellen EU-Chefunterhändler Barnier und Vertreter der britischen Gegenseite eine Einigung auf ein Übergangsabkommen zwischen der EU und Großbritannien innerhalb der nächsten sechs bis acht Wochen - mutmaßlich auf einem EU-Sondergipfel Mitte November - in Aussicht. Von einem wie auch immer gearteten Brexit-Deal profitierten dann vor allem deutsche Export-Aktien mit Absatzmärkten in Großbritannien.

Während sich in den USA auf Sentimentebene die Situation nach dem kürzlichen Kursrutsch bei Technologieaktien normalisiert hat, bleibt die Stimmung am deutschen Aktienmarkt noch verhalten. Da hierzulande aber vor allem institutionelle Anleger starke Kurs-Absicherungen vorgenommen haben, ist eine Bodenbildung im Gange.

Charttechnik - Die 12.000er Marke im Test

Auf dem Weg nach oben liegt der erste Widerstand an der Marke bei 12.067 Punkten. Knapp darüber liegt die nächste Hürde bei 12.125 Punkten. Wird diese erfolgreich überschritten, folgt die nächste Barriere bei 12.450, bevor der Index Kurs auf die Marken bei 12.737 nimmt. Kommt es zu weiteren Kursverlusten, ist mit Rücksetzern bis zur psychologisch wichtigen Marke bei 12.000 und schließlich der Unterstützung bei 11.889 zu rechnen. Die nächsten Haltelinien folgen dann bei 11.800 und knapp darunter bei 11.727 Punkten.

Der Wochenausblick für die KW 38 - Zaghafte Konjunkturstabilisierung

In Japan behält die Bank of Japan ihre lockere Geldpolitik angesichts der im August weiterhin blutleeren Inflation und eines sich abschwächenden Exports bei.

In den USA unterstreicht der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed die robuste Stimmung in der US-Industrie.

In der Eurozone signalisieren die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe eine Stabilisierung der Konjunkturstimmung auf niedrigem Niveau. Dagegen bleibt ein spürbarer Preissteigerungsdruck gemäß den finalen Inflationszahlen für August weiter aus.