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Halvers
Kolumne

 
31.10.2018

 

In der Politik darf man keine halben Sachen machen

Nach den epochalen Verlusten von CDU und SPD bei der hessischen Landtagswahl spricht wenig für politischen Aufbruch in Berlin. Die „Große“ Koalition wird zusammenbleiben, aber noch vorsichtiger regieren, keine heißen Eisen anpacken und wenig Reformaktivitäten zeigen, um bloß keinen neuen Streit loszutreten. Denn der führte zu Neuwahlen, die Union und SPD auch im Bund zu zukünftigen Ex-Volksparteien machten. Die Regierungspartner verhalten sich wie ein zerstrittenes Ehepaar, das die Scheidung unbedingt vermeidet, weil ansonsten das gemeinsame Haus weg ist.

Auch Eichhörnchen sorgen für den Winter vor

Doch ist mit dem Weg des geringsten politischen Widerstands kein Staat zu machen. Angesichts der aktuell guten konjunkturellen Lage klopfen sich CDU, CSU und SPD zwar gerne auf die eigene Schulter. Ich will unsere Wirtschaft überhaupt nicht schlechtreden. Doch zeigt das heile Bild eines quantitativ guten Arbeitsmarkts bei qualitativer Betrachtung Risse. Es gibt viel prekäre Beschäftigung. In Deutschland fällt man schon aus der Arbeitslosenstatistik, wenn man offiziell die Hunde des Nachbarn Gassi führt. Wir brauchen aber einkommensstarke Beschäftigung, mit der sich z.B. die hohen Mieten bezahlen lassen. Übrigens, Wohnungsnot ist nicht erst seit gestern bekannt. Offensichtlich singt man in Berlin „Schlaf in himmlischer Ruh“ nicht nur zur Weihnachtszeit.

Grundsätzlich hätten die stabilen Wirtschaftszeiten längst genutzt werden müssen, um Deutschland wetterfest für das Zeitalter der Digitalisierung zu machen. So mancher afrikanische Staat hat mittlerweile ein besseres Netz als Deutschland. Der weltweite Standort- und Innovationswettbewerb ist bereits brutal und wird noch brutaler. Nicht nur große, auch immer mehr Mittelstandsunternehmen suchen sich den besten Standort wie in einem Modekatalog aus. Bei Beibehaltung des Status Quo droht Deutschland, allmählich zu einer Exportnation von Arbeitsplätzen und Zukunftstechnologien zu werden. Leider sind Arbeitnehmer nicht so mobil wie Kapital.  

Ein moderner Standort braucht nicht zuletzt - z.B. für die E-Mobilität - immer mehr Strom. Die Energiewende sorgt allerdings noch nicht für ausreichend Spannung.

Deutschland als Lame Duck in Europa? Bloß nicht!

Um Nachfolgediskussionen zuvorzukommen hat Angela Merkel die Reißleine gezogen. Sie zieht sich vom Vorsitz der CDU zurück und verzichtet auf eine erneute Kanzlerkandidatur, will aber bis zur Neuwahl 2021 im Kanzleramt bleiben. Die Splittung von Partei- und Regierungsamt schwächt jedoch ihre Handlungsfähigkeit. Denn natürlich strebt die Nachfolgerin bzw. der Nachfolger an der Parteispitze - wie in der CDU üblich und auch von Frau Merkel immer gewollt - ebenso die Kanzlerschaft an. Die ihr nachfolgende Person will zudem schon vor der nächsten Bundestagswahl regieren und sich profilieren, um nicht als Greenhorn in den Wahlkampf zu ziehen. Diese permanente „Putschgefahr“ - vor allem, wenn „er“ oder „er“ an der CDU-Spitze Merkel-fremde Duftmarken setzt - macht Angela Merkel zur Königin ohne Land, zur Kanzlerin auf Abruf. Je länger der Abschied vom Kanzleramt anhält, umso mehr wird in Berlin verwaltet und moderiert statt gestaltet und regiert.

Eine Kanzlerinnendämmerung ist auch für die Europa-Politik schädlich. Der deutsche Motor könnte bei den anstehenden, wirklich großen Entscheidungen der EU an Zugkraft verlieren. Diesen Bewegungsmangel könnten andere Mitgliedsländer auch für das Kochen eigener Süppchen ausnutzen. Die Euro-Südzone wird die Einführung einer europäischen Einlagensicherung und die Vergemeinschaftung von nationalen Schulden möglichst ohne stabilitätspolitische Gegenleistung forcieren. In Rom wird bereits Prosecco serviert: Ist die deutsche Stabilitäts-Katze aus dem Haus, tanzen die Schulden-Mäuse auf dem Tisch.

Für mich geht es um klare politische Kante: Entweder man geht ganz oder gar nicht. Deutschland muss die volle PS-Zahl auf die europäischen Straßen bringen.

Wirtschaftskompetenz ist kein Schimpfwort

Wirtschaft und Finanzwelt machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Sie wünschen sich an der Spitze der CDU eine Europa-freundliche, aber auch wirtschaftskundige Persönlichkeit. Sie oder er soll den innovationsarmen Status Quo nicht fortschreiben, sondern beherzte Reformschritte gehen, damit Deutschland auch morgen noch in der World Champions League spielt. Von Nix kommt Nix. Diese Logik kennt man vom Bauernhof: Hühner, die nichts zu picken haben, legen auch keine Eier.

Tatsächlich hat Deutschland seit Kriegsende immer mit einem wettbewerbsfähigen Standort aufgetrumpft. Nur so konnte Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ erreicht werden. Eine Reformagenda 2010 sollte im Nachhinein nicht verteufelt werden. Politik muss immer bereit sein, schwere Kost auf den Tisch zu bringen, wenn es der Zukunftsfähigkeit, den Arbeitsplätzen und natürlich der Finanzierung des Sozialstaats dient. Was nutzt eine große bunte Pralinenpackung, die zwar zunächst mit den süßesten Verführungen möglichst alle Geschmackswünsche erfüllt, am Ende jedoch nur zu wirtschaftlichen Magenverstimmungen führt? 

Am Ende wird es wohl doch nicht ohne Neuwahlen gehen. Gut so!

Der bisherige Stau aller Altparteien in der politischen Mitte hat wie bei Altreifen zu Profillosigkeit, langweiliger Beliebigkeit und letztlich auch einheitsgrauem Mittelmaß geführt. Davon haben die Ränder erkennbar profitiert. Dagegen böte eine wirtschaftsnähere Union der SPD wieder die Chance, sozialdemokratischer zu werden. Die Herausarbeitung früherer Markenkerne würde wieder zu mehr farbenfroher Auseinandersetzung und schließlich mehr Attraktivität des politischen Establishments führen. Übrigens sollte Populismus auch von den klassischen Parteien kommen. Ein bisschen mehr Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner täten dem Unterhaltungswert im Politik-Betrieb und der Bindung an die „Mitte“ gut.  

1997 sagte der damalige Bundespräsident „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“. Möge dieser Ruck in Deutschland Ruck Zuck kommen. Der deutsche Aktienmarkt hätte nichts dagegen.