Das (Börsen-)Jahr neigt sich dem Ende zu und Resümees werden bereits gezogen. Was war wohl das Börsen-Wort 2019? Die üblichen Verdächtigen wie Nullzinsen oder Kapitalismus ohne Zins haben sich längst abgenutzt. „Brexit-Chaos“ war auch ein heißer Kandidat, aber der Gewinner ist ein anderer Begriff.
Wenn auch offiziell nicht gekürt, spricht wieder viel für „Handelskrieg“. Er war ja bereits im Vorjahr das Börsenwort, besser gesagt Börsenunwort des Jahres. Von Juni bis Dezember 2018 war er für ein Minus beim DAX von 21 Prozent verantwortlich. Denn eine Exportnation wie Deutschland, die im Welthandel mindestens die zweite Geige spielt, spürt Trumps Handels-Rute am stärksten.
„Unser täglich Handels-Trump gib uns heute“: Auch in diesem Jahr hing der Handelskrieg den Anlegern zum Hals heraus wie jeden Tag Plätzchen in der Weihnachtszeit. In gefühlt 100 Tweets wechselte der US-Präsident zwischen Friedens- und Racheengel hin und her. War ein Handels-Deal vormittags wegen phantastischen Gesprächen mit Peking noch zum Greifen nah, entfernte er sich nachmittags wieder um viele Lichtjahre.
Dennoch, trotz seiner Qualitäten als Brechmittel scheint der Handelskrieg seine Hau ab-Wirkung auf Aktienkurse verloren zu haben. Wir haben zwar immer noch keinen Deal zwischen Amerika und China, noch nicht einmal ein Teil-Abkommen. Und Trump zwitschert weiter wie ein Rotkelchen auf der Balz oder schimpft wie ein Rohrspatz, der kein Vogelweibchen findet. Und dennoch zeigt sich der DAX mit weit über 25 Prozent Performance so freundlich, als habe Trump den Freihandel persönlich erfunden. Bemerkenswert ist die noch bessere Wertentwicklung des MDAX. Schließlich ist er das Auffangbecken besonders weltkonjunktur- und exportabhängiger Werte. Der Zollstreit müsste normalerweise Irritationen hervorrufen wie Fleischspieße auf einem veganen Weihnachtsmarkt.
Doch beweist diese Wertentwicklung eigentlich nur, dass Börse Zukunft bezahlt. Zwar kann China schon aus Gründen der Gesichtswahrung wegen der amerikanischen Unterstützung für die Hongkonger Demokratiebewegung keine große Handels-Friedenspfeife rauchen. Doch führen die zuletzt erneut rückläufigen Exportzahlen der KP schmerzhaft vor Augen, dass selbst in China der Bambus nicht in den Himmel wächst. Hinter der fauchenden Fassade ist der Drachen durchaus geneigt, für mehr amerikanische Zollfreundlichkeit auch wieder mehr Agrargüter aus dem Mittleren Westen einzukaufen.
Auf der anderen Pazifikseite spielt Trump vordergründig den Boxer, der sich - ähnlich wie Rocky Balboa gegen Ivan Drago - Amerikas Handelsfeinden widersetzt. Angesichts des Amtsenthebungsverfahrens und Präsidentschaftswahlkampfs will er unbezwingbar wirken. Doch hinter der polternden Fassade weiß Trump, dass er China nicht kampfunfähig machen kann wie seine Banken und Handwerker während der Immobilienkrise. Damit schlägt er sich selbst auf die Zwölf. Allein schon wegen der Abhängigkeit von Zulieferprodukten kann Amerika China kaum ersetzen. Und auch in Amerika klappert die Mühle nicht ohne den rauschenden Bach der Weltkonjunktur. Ohne gute Konjunktur und einen robusten Aktienmarkt klappert erst recht nicht die Mühle seiner Wiederwahl. Ein US-Präsident kann Alleinunterhalter sein, ein Alleinherrscher ist er nicht.
Ebenso nutzt sich Trumps Handels-Pöbelei gegen Europa ab. Tatsächlich scheinen Zölle für europäische Autos vom Tisch zu sein, deren Einführungsfrist der US-Präsident klammheimlich verstreichen ließ. Trump kann es geopolitisch nicht schmecken, wenn sich die EU von Washington weg- und zu Peking hinbewegt. Eine Weltmacht ohne Satelliten ist wie ein ungeschmückter Weihnachtsbaum.
Bis zu einem endgültigen Handels-Deal werden Anleger „noch viele Säcke Salz fressen müssen“. Und selbst die Unterzeichnung eines „Phase Eins“-Deals mit wirklich getrockneten Unterschriften ist langatmig wie das Warten der Kinder auf die Bescherung an Heiligabend.
Zunächst jedoch, wo kein finales Ende des Handelskonflikts, da auch kein Ende der Happy Hour von Fed, EZB & Co. Jeder konjunkturelle Kälteeinbruch wird durch die Durchlauferhitzer der Geldpolitik aufgewärmt.
Grundsätzlich ist die friedliche handelspolitische Koexistenz eingeleitet. So lange man miteinander spricht, wird nicht mit weiteren Zollanhebungen geschossen. „Schlimmer geht’s also nimmer“. Diese stabile Seitenlage nimmt der Weltkonjunktur Unsicherheit und gibt Unternehmen mehr Planungssicherheit. Überhaupt, Google lügt nicht: Nach dem Hochpunkt Mitte August hat die Suchhäufigkeit des Begriffs „Rezession“ dramatisch nachgelassen.
Ich weiß nicht, ob Handelsfrieden zum Börsen-Wort 2020 wird. Ich bin aber frohen Mutes, dass es nicht „Crash“ sein wird.