Wirtschaftlich befindet sich China nicht mehr in der Happy Hour. Offiziell präsentiert die KP zwar glänzende Wachstumsraten. Doch ist hier eher der Wunsch der Vater des Gedankens oder Pinocchio Chef des Statistikamtes. Und geopolitisch und an den Finanzmärkten ist es auch schon besser gelaufen.
Tatsächlich scheinen die dramatischen zins- und fiskalpolitischen Aufbauspritzen nicht die schnelle Heilung der chinesischen Wirtschaftsschwächen zu bewirken. Kein Wunder, denn Planwirtschaft, strenge Überwachung und eine mangelnde Informationspolitik - man weiß nicht, was in China wirklich passiert - sind keine Ausfahrt aus den strukturellen Problemen, eher deren Einfahrt. Das belegen auch internationale Fachkräfte durch ihre Abstimmung mit Füßen. Ihnen sagt der marktwirtschaftliche, freigeistige und offene US-Standort offensichtlich mehr zu.
Auf uneingeschränkte Treue der anderen Schwellenländer sollte China nicht zählen. In den Medien wird zwar vom „Globalen Süden“ unter Führung Chinas als gefährlichem Gegenspieler zum Westen gesprochen. Vor der Kamera mögen die Schwellenländer zwar in das Klagelied der Chinesen über die imperialistischen Gelüste Amerikas und seiner dominierenden Weltleitwährung einstimmen. Aber hinter den Kulissen hört man deutlich differenziertere Töne.
So halten sich die Gelüste der Emerging Markets, die US- gegen eine chinesische Währungsdominanz einzutauschen, für die sie den Rücken hinhalten müssen, sehr in Grenzen. Überhaupt, würde der Yuan tatsächlich zum Anker einer neuen Weltleitwährung, müsste China die totale Kontrolle über seine Finanz- und Devisenmärkte aufgeben. Doch passen Liberalisierung und China zusammen wie Abspecken und Sahnepudding. Nicht zuletzt ginge dann der Renminbi in die Höhe und die Exporte Chinas in die Knie.
Das Musterbeispiel, dass die Schwellenländer nicht die Interessenvertretung Chinas sind, ist Indien. Die Streitereien zwischen Washington und Peking nutzt Neu-Delhi schamlos aus, um sich geopolitisch als lachenden Dritten zu etablieren. Dazu gehört auch der Aufbau eines im Vergleich zu China konkurrenzfähigen Produktionsstandorts. Übrigens, glaubt irgendjemand, dass die Emerging Markets, die vielfach Rohstoffländer sind, nur an China verkaufen? Wer wird dieses Klumpenrisiko, diese Abhängigkeit eingehen? Wer verzichtet denn auf die große Kaufkraft des westlichen „Klassenfeindes“?
Mittlerweile betreibt Amerika in den Schwellenländern auch große „Charme-Offensiven“. Sollte Donald Trump US-Präsident werden, wird er versuchen, Russland aus der Rolle des „nützlichen Idioten“ für China herauszuholen. Putin wurmt es, dass Moskau für die Freundschaftsdienste Pekings mit günstigen Rohstofflieferungen bezahlen muss und dennoch im Duo nur die zweite Geige spielt. Nicht der schlechteste Nährboden für amerikanische Gegenangebote, oder?
Daneben wirft Amerika den Chinesen auf allen Feldern - bei Klimaschutz, Technologie, Künstlicher Intelligenz und Industrie - den Fehde-Handschuh hin. Zudem zeigen die US-Sanktionen im High-Tech-Sektor Wirkung. Und die neuen Anti-Dumping-Zölle bei z.B. E-Autos, Solarzellen, Batterien, Metall- und Medizinprodukten werden Chinas Exportwirtschaft das Leben noch schwerer machen. Dabei wird der Außenhandel als Sorgenpause für die schleppende chinesische Binnenkonjunktur dringend gebraucht.
Alternativ wird China seine Überproduktion nach Europa verkaufen wollen. Daher will auch Frankreichs Präsident Macron Importzölle einführen. Kanzler Scholz fürchtet aber die Retourkutsche Pekings aufgrund der massiven deutschen Handelsbeziehungen. Wieder einmal ist Europa gespalten und macht es China leicht, mit uns „den Molli zu machen“.
Grundsätzlich wird China nicht untergehen. Es bleibt ein geopolitisch und wirtschaftlich bedeutendes Land mit fleißigen und klugen Köpfen. Aber den ungebremsten Lobeshymnen über die geopolitische und wirtschaftliche Stärke des Landes, das eher früher als später den USA den Rang abläuft, fehlt aufgrund der oben beschriebenen Defizite oft die kritische Distanz.
Daher ist auch der chinesische Aktienmarkt nicht automatisch die erste Wahl, wenn es um Emerging Markets geht. Sowieso ist die Haltung der KP zum Finanzmarkt zwiespältig. Einmal will sie dem bösen (Börsen-)Kapitalismus zum Wohle des arbeitenden Volkes das Handwerk legen, dann jedoch wird der Aktienmarkt durch staatlich angeordnete Käufe stabilisiert. Auch ist es Peking ein Dorn im Auge, wenn einzelne Unternehmen zu groß werden. Sie könnten eine zweite Macht im Staat werden und so die Autorität der Regierung untergraben. Diese Unsicherheiten sind nicht der Dünger für eine positive Aktienstimmung.
Und so ist der hohe Bewertungsabschlag Chinas zu klassischen Aktienmärkten - die KGV-Bewertung liegt bei unter 10 - nicht unbedingt als klares Kaufargument, sondern als Risikoaufschlag zu verstehen. Im Rheinland sagt man: „Was nix kostet, ist auch nix.“
Ohne deutlich mehr Marktwirtschaft, die Staatspräsident Xi Jinping am Anfang seiner Amtszeit noch praktizierte, ohne deutlich weniger staatlichen Kontrollzwang und ohne transparente Informationspolitik wird es für Chinas Aktienmarkt schwierig sein, abseits zwischenzeitlicher Erholungen nachhaltig zu steigen.
Dagegen zieht Indien u.a. aufgrund seiner positiven demografischen Entwicklung und umfangreichen Reformen an Haupt und Gliedern immer mehr die Blicke der Finanzwelt auf sich. Laut IWF wird die indische Wirtschaft 2024 mit 6,5 Prozent stärker als die chinesische und mehr als doppelt so stark zulegen wie die Weltwirtschaft. Das kommt auch den indischen Finanzmärkten zugute, deren Attraktivitätssteigerung für ausländische Anleger ausdrücklich angestrebt wird. Neben Konsumgütern sind Technologie und Finanztitel vielversprechende Branchen, vor allem die Kombination von beidem.
In Südamerika finden Aktien aus Mexiko und Brasilien zunehmende Beachtung. Sie profitieren von der fortschreitenden Verschiebung amerikanischer Produktions- und Lieferketten von China in den US-Vorgarten, was hohe Privatinvestitionen nach sich zieht. Dieses Engagement der „Yankees“ entspannt auch die massive Rohstofforientierung der südamerikanischen Börsen.
Es ist ein Zeichen von Reife, dass das Wohl und Wehe der Schwellenländer nicht mehr nur von China abhängt. Heutzutage müssen an Chinas Wesen die Emerging Markets nicht mehr genesen.