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Halvers
Kolumne

 
16.03.2023

Ist konsequente Inflationsbekämpfung zum unbezahlbaren Luxus geworden?

Die Notenbanker stecken in einer gewaltigen Zwickmühle. Eigentlich müssen sie den Preisdruck, der Steherqualitäten hat, mit knallharter Zinspolitik und Liquiditätsentzug bekämpfen. Damit erhöht sich jedoch auch das Konjunkturrisiko und die Gefahr einer neuen Finanzkrise weltweit. Tatsächlich haben die vergangenen Zinsrestriktionen bereits Schleifspuren nicht nur bei kleineren US-Banken hinterlassen. Für welche Seite wird sich die Geldpolitik entscheiden?

Das alte Lied: Wenn es läuft, finden Risiken wenig Beachtung

Die Krise so mancher kleineren US-Bank hat zunächst mit schlechtem Risikomanagement und einer im Vergleich zu Europa laxeren Bankenaufsicht zu tun. Warum genau hinschauen, wenn Anleger einem das Geld regelrecht nachwerfen? 

Die Happy Hour ist jedoch vorbei, wenn die US-Notenbank zur Eindämmung der dynamischsten Preisbeschleunigung seit den 70er Jahren den Zinserhöhungsturbo einschaltet. Zwar geht dann immer noch der Kelch des Preisverfalls an Banken solange vorbei, wie Kursverluste nicht durch Verkäufe realisiert werden müssen. Wenn aber Kunden aus plötzlich aufkommenden Reputationszweifeln oder aus welchen Gründen auch immer, Geld plötzlich abziehen, wird schnell aus der theoretischen Krise die praktische: Zur Liquiditätsbeschaffung müssen Verluste realisiert werden.

Dabei machen Liquiditätsabflüsse auch vor europäischen Banken nicht halt, die schon länger kritisch beäugt werden. Und dann setzt die Sippenhaft ein, die in keiner Branche größer ist als in der international eng miteinander vernetzten Finanzbranche. Der Keim des Misstrauens ist gepflanzt. Vorbeugend wird von allen Banken Geld abgezogen. Man will nicht das kleinste Risiko eingehen. Ähnlichkeiten mit dem Lehman-Moment 2008 sind nicht rein zufällig. Niemand hat vergessen, wie aus einer vermeintlich kleinen Mücke ein Riesenelefant wurde, der fast unser Finanzsystem totgetrampelt hätte. Erinnern Sie sich noch an unseren damaligen Bundesfinanzminister, der die Lehman-Pleite für ein rein amerikanisches Problem hielt? Pustekuchen! Ohne Zweifel sind europäische Banken heute viel besser aufgestellt als damals. Aber wenn die Rationalität geht und die Emotionalität kommt, spielen solche Überlegungen keine große Rolle mehr. Und die Sensationspresse und die Untergangspropheten, die ihre mediale Chance wittern, malen wieder mit den dunkelsten Farben den nahenden Untergang an die Wand: Den Systemcrash. 

Und was sollen die „armen“ Notenbanken jetzt tun?

Wenn sie weiter auf die Trommel der unbedingten Inflationsbekämpfung hauen und noch lange massive Leitzinsanhebungen durchführen, werden die Liquiditätsprobleme nicht kleiner, im Gegenteil. Machen wir uns nichts vor: Die Notenbanken sind wieder in die Rolle der ultimativen Rettungsengel geschlüpft.  

Böse Frage, aber ist heutzutage überhaupt noch ein konsequenter Kampf um Preisstabilität möglich, den in der guten alten Zeit zwischen Ende der 70er /Anfang der 80er Jahre die US-Notenbank oder die Deutsche Bundesbank geführt wurde.

Natürlich kann man die Inflation geldpolitisch auf zwei Prozent oder sogar noch niedriger drücken. Man muss nur eine konjunkturelle Depression und Schuldenkrise zulassen. Genauso hat es die Fed vor der Finanzkrise gemacht. Das dann folgende Endergebnis wird niemand mehr riskieren.

Und heute sind die Wechselwirkungen mit der Real- und Finanzwirtschaft noch größer. Zunächst erhöht sich die staatliche und private Verschuldung immer weiter. Die westliche Welt und vor allem ihre Führungsnation sind auf Kredit gebaut. Der Schulden-Wolkenkratzer bricht in sich zusammen und die Büchse der Pandora wird geöffnet, wenn seine Statik mit großem Zins-Gerät ins Wanken kommt. Überhaupt kann kein Staat die umfangreichen Ausgabenprogramme für Infrastruktur, Digitalisierung, Energiewende und Wehrfähigkeit mehr mit eigenen Bordmitteln stemmen. Und dass Deutschland hier viele Jahre geschlunzt hat, fällt uns jetzt besonders heftig auf die Füße.

Ohnehin ist die konjunkturelle Erholung nach Corona und noch laufendem Ukraine-Krieg unsicher wie das April-Wetter. Kommen wir jemals zum letzten deutschen Wirtschafts-Wunderjahr 2019 zurück? Das schier endlose deutsche Märchen der Globalisierung und der nur eingebildeten Umzingelung von Freunden hat Risse bekommen, durch die man mittlerweile schauen kann. Günstiger Rohstoff- und Energieimport, Veredelung zu industriellen Spitzenprodukten in der Industrie und Export nach China liefen so gut, dass die deutsche Wirtschaftspolitik behäbig wurde und sich in den Jahren der Niedrigzinsen immer höhere Sozialleistungen erlaubte. Und die militärische Trittbrettfahrerei ist auch vorbei. Der große Bruder jenseits des Atlantiks will nicht mehr ohne Weiteres Schutzpatron für Europa sein.  

Finanz-, Konjunktur- und Systemstabilität gehen vor Preisstabilität

Im Zweifel für den Angeklagten: Vor diesem wenig erbaulichen Hintergrund wird sich die internationale Geldpolitik primär um die Verhinderung einer neuen Banken-, Wirtschafts- und Systemkrise kümmern. Inflationsbekämpfung spielt dabei die zweite Geige. Die zuletzt gefallenen Anleiherenditen signalisieren diese Erwartung bereits. Und zum Glück kommen die Teuerungsraten - wenn auch nur langsam - zurück. Diese Entwicklung werden die Notenbanken mit grandiosem Marketing ausschlachten und propagieren, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Dabei ist völlig klar, dass ein Inflationsziel von zwei Prozent noch sehr lange nicht erreicht wird, wenn überhaupt. Die sich mittlerweile häufenden Zweitrundeneffekte wie die hohen Tarifabschlüsse, die die Unternehmen, aber auch der Staat in Preisen und Gebühren weitergeben werden, sprechen dagegen. 

Und wenn die EU z.B. bei der planwirtschaftlichen Zwangsgebäudesanierung Ernst macht, wird die Inflation zu unserem Leben gehören wie das Gute Nacht-Gebet vor dem Schlafengehen. Die Nachfrage nach Dämmmaterialien usw. wird explodieren und die (Miet-)Preise gleich mit. Der Staat wird zwar Zuschüsse gewähren. Aber wer soll diese neuen Schulden bezahlen, wenn nicht die EZB. Und warum sollte sie den Vorsprung der Inflation über den Kreditzins aufheben? Irgendwie muss der Staat sich doch entschulden. Staatswirtschaft ist immer teuer, da der Staat verfressener als jeder Hund ist.  

Ich glaube ohnehin, dass die 40-jährige im Trend gefallene Inflation eine, wenn auch lange Ausnahme von der historischen Regel war. So hat die Internationalisierung der Weltwirtschaft zu deflationären Produktionsverlagerungen geführt. Der Höhepunkt dabei war das kostenseitig unschlagbare Asien, das Inflation zu einem Begriff machte, den man im Lexikon nachschlagen musste.

Es ist sehr zu vermuten, dass diese Zeiten schon wegen zunehmender internationaler Verspannungen und einer Begrenzung der Abhängigkeit von China vorbei sind. Die Neigung nimmt stark zu, mit preistreibender Subventionierung wieder zuhause zu produzieren.     

Wie will man sich da noch den Luxus der konsequenten Inflationsbekämpfung erlauben? Die Inflation wird ziemlich auf der Strecke bleiben. Früher oder später wird das Inflationsziel „an den Zeitgeist“ angepasst. Die 4 Prozent sind die besseren 2 Prozent.

Bei diesem Inflationsszenario kommt mir ein Song der Kölsch-Rockband BAP in den Sinn: „Verdamp lang her“, auf hochdeutsch verdammt lang her. Es ist tatsächlich verdammt lange her, dass Inflation geldpolitisch konsequent bekämpft wurde.

Und für die Zinssparer hält der Song auch eine Zeile parat: „Nit resigniert, nur reichlich desillusioniert.“ Zinssparen, dass nach Inflation Spaß macht, ist eine Desillusion.