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Kolumne

 
02.08.2017

Leidet das deutsche Auto-Imperium unter spätrömischer Dekadenz?

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

In der Automobilkultur ist Deutschland Spitze. Weltweit träumen unzählige Menschen davon, einmal im Leben ein deutsches Premium-Auto zu fahren. Ja, „Vorsprung durch Technik“ wird geliebt.

Je schlechter über Diesel geredet wird, desto mehr stinkt er

Diese Hochachtung darf man nicht verspielen. Denn mit Diesel-Abgasskandalen und Innovationsträgheit drohen diese Träume zu platzen. So mancher, der am Fließband für Diesel-Fahrzeuge steht, fragt sich bereits „Was mache ich hier eigentlich?“

Sicher, die ausländische Auto-Konkurrenz hat keinen Grund, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Auch sie hat viel Dreck am Stecken. London, Paris oder Rom gehen auch nicht als Luftkurorte durch. Jedoch haben in Deutschland Automobile wirtschaftlich und für das germanisch-industrielle Selbstwertgefühl eine viel größere Bedeutung. Und da im internationalen Autoabsatz-Krieg alle Mittel erlaubt sind, streuen die Rivalen der Autoszene jetzt sackweise Zucker in die Tanks deutscher Dieselautos. Auch die britische Regierung drischt auf Diesel-Deutschland ein, indem sie ein Dieselauto-Verbot ab 2040 ausspricht. Selbst wenn bis dahin noch viel Zeit vergeht, wird im Kopfkino der Autofahrer deutscher Diesel-Technologie dennoch immer mehr die Spritzufuhr gekappt. In Trumps Amerika ist man ohnehin für jeden Skandal der deutschen Autoindustrie mit ihrer „bösen“ Exportstärke dankbar. Dann kann man ihr öffentlichkeitswirksam mit Inquisitions-ähnlichen Schauprozessen das Fell über die Ohren ziehen.

Für die deutsche Wirtschaft steht viel auf dem Spiel. Automobile sind unsere Leitindustrie. Etwa 800.000 Jobs und ein Fünftel unserer Exporte hängen direkt davon ab. Und wenn sich beim Diesel in puncto Zuverlässigkeit, Qualität und Innovation Schwächen offenbaren, gerät auch die gesamte deutsche Automobilbranche in Sippenhaft, wird angeschwärzt, sozusagen eingerußt.

Rettet den Diesel!

Aufgrund ihres Stellenwerts wurde die deutsche Autoindustrie seit Jahrzehnten von allen Politikern und sogar von den Grünen verwöhnt wie ein Einzelkind. Gerne wurden auch großzügige Geschenke wie Abwrackprämien verteilt und vielleicht die Diesel-Ampeln an den richtigen Stellen gerne mal auf grün gesetzt. So schwebte die Auto-Industrie über allen Diesel-Dingen, war unangreifbar, too big to fail.

Doch angesichts der aktuellen Diesel-Konterrevolution muss die Branche aus ihrer Komfortzone heraus. Um die Diesel-Technologie zu retten, ist zunächst brutalstmögliche Aufklärung der Industrie von Nöten.

Dann müssen umherfahrende Diesel-Fahrzeuge wo immer möglich um- bzw. nachgerüstet werden, natürlich auf Kosten der Hersteller. Ansonsten erleidet die Diesel-Schlüsseltechnologie „Made in Germany“ einen Totalschaden. Denn wer will schon über Fahrverbote enteignet werden. Wir sind ja nicht im Sozialismus.  

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die deutsche Diesel-Technologie nicht tot wie eine Maus in der Falle ist. Eher wird sie von ideologisch fest gefahrenen Kreisen gerne mit viel gespielter Empörung tot geredet. Es ist schon bemerkenswert, wie Deutschland sich wirtschaftlich selbst kaputt schlägt. Was spricht denn gegen eine konsequente Weiterentwicklung des Diesels mit akzeptablen Abgaswerten? „Fort NOx“ muss keine uneinnehmbare Festung bleiben. Deutsche Auto-Ingenieure sind über Nacht doch nicht dümmer geworden. Überhaupt, es wird noch lange Verbrennungsmotoren geben.

Elektro-Mobilität ist in aller Munde, aber...

Zurzeit wird die E-Mobilität mit Blick auf Umweltfreundlichkeit überall angepriesen. Aber mit Verlaub, auch die E-Mobilität hat Schwächen. Der Strom kommt nicht einfach aus der Steckdose. Strom aus Windkraft haben wir zwar genug. Dieser kommt nur leider noch nicht befriedigend dort an, wo er ankommen soll. Die Energiewende muss Produktion und Lieferung umfassen. Heißt das etwa im Umkehrschluss, dass zurzeit Kohle-, Gas- oder sogar Atomkraftwerke E-Mobilität ermöglichen?

Und selbst wenn die Akku-Qualitäten verbessert wurden, sind viele Fahrer mit Blick auf die Reichweite noch beunruhigt. Denn wo sind in Deutschland die E-Tankstellen, die man vielfach wie die Nadel im Heuhaufen suchen muss? Die E-Infrastruktur muss stimmen. Man kann ja auch nicht Eier verlangen und vergessen, die Hühner zu füttern.  

Technologieführerschaft statt Innovationsalarm

Selbstverständlich muss sich auch Deutschland zügig auf die Zeit nach Verbrennungsmotoren einstellen. Auf den weltweiten Straßen sollen bitte auch morgen und übermorgen noch deutsche Autos fahren.

Hier ist allerdings einiges verbummelt worden. Man hat sich zu sehr auf den Auto-Lorbeeren von gestern ausgeruht. Doch welken diese in einer global wettbewerbsfähigen Welt schneller als tote Fisch anfangen, zu stinken. Deutschland hat das automobile Industrie-Zeitalter beherrscht wie seinerzeit das Römische Reich die Welt. Doch jetzt betreten wir die spätrömische Epoche. Das selbstgerechte deutsche Auto-Imperium wird angegriffen wie früher Rom durch die Germanen. Amerika mit seinen führenden Technologieunternehmen sieht endlich die Chance gekommen, Deutschland vom Auto-Thron zu stoßen. Die Branche wird sich zukünftig immer mehr Richtung digitaler Produktionstechnik und Social Media entwickeln. Nachdem das Auto im Rohbau von modernsten Robotern hergestellt wurde, beginnt erst im Innenausbau die eigentliche Wertschöpfung durch z.B. Selbstfahrbarkeit und Kommunikationstechnik. Und diese droht immer weniger aus Deutschland, sondern vor allem aus den USA zu kommen. Nicht mehr Germania, sondern Amerika könnte die Spielregeln in der Automobilbranche bestimmen. Heute lacht niemand mehr über Tesla.

Mehr Bundesregierung, weniger Bundesverwaltung

Dabei sind deutsche Auto-Unternehmen durchaus leistungsbereit und -fähig. Aber sie brauchen wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen wie das Auto Reifen. Ansonsten zieht es sie nach Amerika. Und dann nehmen sie leider auch die Arbeitskräfte mit.

Das deutsche Kaputt-Regulieren, weil man hinter jeder Innovation nur Ängste und Risiken, nicht aber wie in anderen Industrieregionen die Chancen sieht, muss aufhören. Symptomatisch für diese Technologiefeindlichkeit ist u.a., dass Deutschland bei Glasfaseranschlüssen ein Entwicklungsland ist. Ich frage mich, ob wir ein deutsches Wirtschaftswunder mit der heutigen Technologierenitenz, Hasenfüßigkeit und Bedenkenträgerei hinbekommen hätten?

Es ist wirtschaftspolitisch höchste Zeit, aus der Spätrömischen Dekadenz aufzuwachen. Wir sind dabei, die automobile Zukunft zu verspielen und von der Substanz zu leben. Aus Made in Germany darf nie Madig in Germany werden. „Vorsprung durch Technik“ ist auch morgen unsere einzige Chance.

Schaffen wir das? Falsche Frage, wir müssen es schaffen. Das ist ein entscheidender Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in einem Land, in dem wir dann gut und gerne leben.
 
Und das stützt auch Autoaktien, die mittlerweile im Vergleich zum Leitindex DAX teilweise nur eine halb so hohe Bewertung haben. Das gibt zwar Raum für zwischenzeitliche Erholungsbewegungen. Für nachhaltige Investments ist jedoch eine nachhaltige Kurskorrektur der Branche mit politischer Innovationsfreude wünschenswert.

Ich wünsche mir, dass für die deutsche Autoindustrie weiter der Anspruch des früheren VW Käfers gilt: Er läuft und läuft und läuft.