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Kolumne

 
05.07.2017

Quo vadis, Finanzmärkte im 2. Halbjahr 2017?

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG

Zwar scheinen in der zweiten Jahreshälfte Euro-politische Konflikte zunächst ein weniger großes Unsicherheitsrisiko darzustellen. Jedoch ist die politische Lage nicht krisenfrei. Nordkorea hat erstmals eine Interkontinentalrakete erfolgreich getestet und bedroht den asiatischen Status Quo. Und Italiens fatale Schuldensituation wird immer mehr zur Schicksalsfrage der Eurozone. Die weltweiten Wirtschaftsaussichten zeigen sich zwar stabil, doch wachsen die konjunkturellen Bäume auch nicht in den Himmel. Und jetzt geht an den gelddrogen-verwöhnten Finanzmärkten auch noch die Angst vor dem kalten Entzug der Notenbanken um. Ist es Zeit für die neue Sachlichkeit an den Aktienbörsen?

Weltwirtschaftliche Sachlichkeit

In den USA sind die markanten Wachstumsimpulse der Trumponomics noch nicht erkennbar. In Europa ist es zu früh, Entwarnung für die Konjunktur zu geben. Abgesehen von Nachholeffekten ist ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum noch nicht in Sicht. Das zeigt auch die fortgesetzt sehr zurückhaltende Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte: Ohne Kredit- kein Wirtschaftswachstum. In der Eurozone werden strukturelle Defizite nur ungern angegangen und behindern so das Freisetzen von Wirtschaftsimpulsen. Es ist sehr zu wünschen, dass Frankreich unter Präsident Macron die verkrusteten Standortfaktoren auf Vordermann bringt. Die politische Macht, vor allem den Arbeitsmarkt zu reformieren, hätte er. Allerdings ist die politische Umsetzung im sozialromantisch veranlagten Frankreich extrem schwierig.

China wird weiterhin den schwierigen Übergang von einer Industrie- zu einer Technologie- sowie Dienstleistungsgesellschaft mit massiver geld- und finanzpolitischer Unterstützung begleiten. Schließlich muss dem Anteil sinkender Neukredite an der chinesischen Wirtschaftsleistung entgegengewirkt werden. So bleiben konjunkturelle Irritationen für die Finanzmärkte in Shanghai und damit die weltweite Anlegerstimmung weitestgehend aus. Aus den Erfahrungen der chinesischen Wirtschaftsflaute Anfang 2016 hat Peking gelernt.

Immerhin lässt sich aus den verhaltenen Ölpreisen keine Schwäche der Weltwirtschaft ablesen. Denn bei Rohöl haben wir es mit einem Überangebots- nicht aber mit einem Nachfrageproblem zu tun.

Die globalen Wachstumspotenziale werden nicht die hohen früheren Niveaus erreichen. Insgesamt signalisiert der Einkaufsmanagerindex für die Weltwirtschaft dennoch zumindest eine stabile Entwicklung.

Geldpolitische Trendwende im Schonwaschgang

Der Zinserhöhungszyklus der Fed wird sich angesichts der verzögerten US-Konjunkturoffensive vergleichsweise schwach fortsetzen. Bereits jetzt ist die durch die amerikanischen Leitzinserhöhungen seit Ende 2016 abflachende US-Zinsstrukturkurve (10-jährige US-Staatsanleiherendite minus US-Notenbankzins) wirtschaftsbehindernd. Die Aufnahme kurzfristigen zinsgünstigen Geldes und Anlage in längerfristig höherrentierliche Investments - die sogenannte Fristentransformation - ist weniger attraktiv.

EZB-Präsident Draghi betont, dass eine weniger freizügige Notenbankpolitik nur dann stattfindet, wenn die Erholung von Konjunktur und Preisen gesichert ist. Ein wirklicher Inflationsschub scheiterte bislang an schwachen Ölpreisen infolge mangelnder Förderkürzungen der Opec und einem Ölüberangebot durch die Alternativfördermethode Fracking. Damit verleiht der mangelnde Inflationsdruck - laut Projektionen der EZB wird das Inflationsziel von zwei Prozent bis 2019 nicht erreicht - Alibis, die geldpolitische Trendwende zu verlangsamen.

Italien verhindert die wirkliche Zinswende

Ohnehin ist die Eurozone (finanz-)politisch noch nicht aus dem Schneider. Frankreich hat zwar „richtig“ gewählt, Europa kann Griechenland zur Not auch ohne IWF stabilisieren und der Brexit ist aufgrund des langen Scheidungsprozesses noch nicht konkret spruchreif. Doch das nächste Problemkind heißt Italien. Als drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist dieses Land Euro-systemrelevant. Seine (finanz-)wirtschaftliche Verfassung ist verheerend. Italien ist abgesehen von Griechenland das ökonomische Schlusslicht in der Eurozone. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 11 Prozent und die Staatsschulden bei fast 2,3 Bill. Euro.

An Reform-, Stabilitäts- oder Sparmaßnahmen ist in Italien zurzeit nicht zu denken. Da diese erst langfristig wirken, stellen sie kurzfristig sozialen Sprengstoff dar. Von persönlicher wirtschaftlicher Misere haben die Italiener genug. Stabilität macht eben nicht satt.

Und vor den vermutlich im März 2018 stattfindenden Nationalwahlen will man keine populistischen Euro-feindlichen Hunde wecken. Vor diesem Hintergrund ist die EZB so etwas wie ein Euro-freundlicher Wahlhelfer. Die Notenbank wird jede Verunsicherung an den italienischen Anleihemärkten mit negativem Streueffekt auf die sowieso geschwächte Volkswirtschaft verhindern. Ihre Rolle in der finanzwirtschaftlichen Stützung des Landes und ebenso in der Verhinderung eines Austritts Italiens aus EU und Eurozone nimmt sie sehr ernst.

Nach der Bundestagswahl im September wird sich Deutschland in der italienischen Schuldenfrage weniger stabilitätsorientiert zeigen. Die Berliner Realpolitik ist sich bewusst, dass Italien als Außengrenzland der Eurozone Drohpotenzial in Flüchtlingsfragen aufzuweisen hat. Anpassungen der Kreditverträge oder Anleihekonditionen wie in Griechenland im Sinne von Schuldenstreckungen, Zinsreduzierungen oder gar Schuldenstreichungen wird man aber nicht verfolgen. Denn wenn schon ein großes Land wie Italien diese künstlichen Gehhilfen benötigt, ist aller Finanzwelt vor Augen geführt, dass die Eurozone ernste substanzielle Finanzprobleme hat. Vielmehr wird Berlin eine erhöhte italienische Schuldenaufnahme unter scheinbar strengen, aber nur auf dem Papier stehenden Konditionen dulden. Nennen wir es finanzpolitischen Anstand. Insgesamt ist damit eine echte geldpolitische Trendumkehr der EZB nicht möglich.

Das unlösbare Dilemma der Notenbanken

Wie bei der US-Notenbank gewinnen mittlerweile jedoch auch für die EZB finanzwirtschaftliche Erwägungen gegenüber konjunkturellen Fragestellungen an Bedeutung. Geldpolitiker betrachten die bestehenden Anlageblasen u.a. bei Anleihen oder Immobilien mit Argwohn: Ihre fortgesetzte Aufblähung macht sie immer anfälliger für ein Platzen aufgrund eines plötzlichen negativen Ereignisses, auch „Schwarzer Schwan“ genannt. Insofern scheint eine geldpolitische Normalisierung auf der Hand zu liegen.

Doch könnte ausgerechnet eine klare Wende der bisher üppigen Notenbankpolitik das Bersten von Anlageblasen auslösen. Im Extremfall käme es dann in unserer hoch verschuldeten, auf zinsgünstige Refinanzierung angewiesenen Finanzwelt zu einem Zinsschock. Dieser könnte nicht nur zu massiven Kursverlusten an den Renten- und Aktienmärkten, sondern schließlich ähnlich wie 2008/2009 zu schweren konjunkturellen Verwerfungen führen.

Die Notenbanken in den USA und der Eurozone werden ihr eigenes Rettungswerk jedoch nicht gefährden und daher Überreaktionen an den Finanzmärkten vorbeugen. Sie werden sie behutsam auf zukünftig weniger geldpolitische Impulse vorbereiten und bei Irritationen verbal zügig zurückrudern. In der Praxis wird es ohnehin nur zu graduellen Restriktionen kommen. Laut Äußerungen von Notenbankvertretern könnte der Entblähungsprozess der Notenbankbilanz mindestens fünf Jahre beanspruchen. Zwar dürfte auch die EZB im September die Rückführung ihrer Anleihekäufe ab Anfang 2018 einläuten, bis sie schließlich Ende 2018 vollständig ausgelaufen sind. Von einem Netto-Abzug der Liquiditätsausstattung auf Rekordniveau wird aber noch lange keine Rede sein. Überhaupt ist mit Leitzinssteigerungen der EZB frühestens 2019 zu rechnen. Und selbst dann werden wir es mit dem trägsten Zinserhöhungszyklus aller Zeiten zu tun haben.

Stabilitätspolitisch zwar höchstbedenklich verleiht die erforderliche geldpolitische Krisenbewältigung den Aktienmärkten dennoch weiterhin Unterstützung. Denn das Zinsvermögen bleibt durch unattraktive Renditen geprägt, was einen Anlagenotstand fortschreibt und -alternativen aufwertet.

Relative Aktienstärke Europas gegenüber den USA nur wenn die Euro-Politik liefert

Die Outperformance von Aktien der Eurozone gegenüber US-Titeln hat sich seit Mai umgekehrt. Nach den Euro-freundlichen Wahlergebnissen in den Niederlanden und Frankreich liegt der Fokus der Anleger zukünftig darauf, inwiefern das politische Europa insbesondere in Frankreich bereit ist, seine tiefgreifenden strukturellen Probleme mit dringend notwendigen, allumfassenden Reformen zu beseitigen, die dann zu positiven konjunkturellen Überraschungen führen.

Innerhalb Europas sprechen die fundamentalen Argumente in der zweiten Jahreshälfte 2017 für deutsche Aktien. In Deutschland befinden sich die ifo Geschäftserwartungen auf dem höchsten Stand seit Februar 2014. Die deutsche export- und industrielastige Substanz bleibt bei Anlegern gefragt, da sie typischerweise von den zumindest stabilen Aussichten der Weltwirtschaft profitiert. Selbst der vergleichsweise festere Euro kann die deutsche Exportstärke nicht trüben. Die Exportindustrie hat schon deutlich höhere Euro-Kurse ausgehalten. Hinzu kommt, dass ein US-Handelsprotektionismus an Drohpotenzial für die deutsche und Weltwirtschaft verloren hat. Er stößt selbst im politischen Washington auf Widerstand, das sich grundsätzlich vor einem amerikanischen Isolationismus fürchtet, der Russland und China mehr an Einfluss gewinnen lassen würde.

Eine weitere Erholung deutscher Unternehmensgewinne, die historisch verbesserten ifo Geschäftserwartungen mit einer zeitlichen Verzögerung von sechs Monaten folgen, ist zu erwarten.

Nicht zuletzt verliert der für US-Investoren in Europa bedeutende britische Aktienmarkt aufgrund des unsicheren Verlaufs der Brexit-Verhandlungen an Attraktivität. In der Tat zeigen sich immer mehr rezessive Tendenzen. An seine Stelle rückt der deutsche Aktienmarkt - und Frankreich, wenn dort Reformen ergriffen werden - verstärkt in den Fokus.

Marktstimmung - Wo Krisen kommen, werden die Notenbanken nicht gehen

Die technischen Fähigkeiten Nordkoreas, Interkontinentalraketen im Extremfall mit Atomwaffen zu bestücken, könnten zu einem kalten Krieg in Fernost führen, der dem nordkoreanischen Machthaber Erpressungspotenziale eröffnet. Mit den Raketentests will Kim Jong Un von der wirtschaftlichen Misere im Land ablenken. Zunächst ist China aufgefordert, seinen kommunistischen Bruderstaat mit wirtschaftlicher Aufbauhilfe im Gegenzug für ein gesichtswahrendes Einlenken zum Umdenken zu bewegen. Peking hat kein Interesse an einem Brandherd vor der eigene Haustür, der seine geopolitische und auch wirtschaftspolitische Position schwächt. Es wäre wünschenswert, wenn Präsident Trump China Zeit für friedliche Lösungen ohne Verbalentgleisungen gibt. Im militärischen Extremfall sollten beide Weltmächte zusammenarbeiten. Aktienseitig sind die asiatischen Aktienbörsen am stärksten negativ betroffen sein.

Der Prozess des EU-Austritts Großbritanniens ist ein Experiment mit unklaren Folgen. Im weiteren Jahresverlauf dürfte sich die Meinung festigen, dass es im zermürbenden Verhandlungsmarathon um einen weichen Brexit geht. Dessen langfristig unklare Ausgestaltung kann die europäischen Aktienmärkte zwischenzeitlich verunsichern. Ebenso können im Vorfeld der Wahlen in Italien im Frühjahr 2018 Bedenken vor einem Euro-kritischen Wahlausgang stärker in den Vordergrund treten, so dass die Volatilität an den Aktienmärkten zwar zunehmen dürfte. Nachhaltige EU-Systemrisiken und damit verbundene deutliche Aktienrisiken sind jedoch nicht zu erwarten, da die Geldpolitik als Risikopuffer wirkt. Eine an sich wünschenswerte stabilitätsorientierte Notenbankpolitik wird nicht ergriffen, um die politische Stabilität der Eurozone nicht zu gefährden.

 

 

Charttechnik DAX und MDAX - Langfristig alles im grünen Bereich

 

Aus charttechnischer Sicht verlaufen beim DAX die ersten Unterstützungen bei 12.424 und 12.391 Punkten. Darunter folgt bei 12.313 eine weitere Haltelinie. Setzt der Index seine Korrektur fort, bieten die Marken bei 12.159, 12.083 und schließlich 12.010 Punkten Halt. Kann der Index auf der Oberseite den Widerstand bei 12.483 zurückerobern, liegt die nächste Barriere bei 12.511. Anschließend stößt der Index bei 12.621, 12.762 und letztlich bei 12.700 Punkten auf weitere Widerstände.

Der MDAX trifft bei einer fortgesetzten Konsolidierung bei 24.607 Punkten auf eine erste Unterstützung. Weitere Haltelinien liegen darunter bei 24.195 und 23.635. Erobert der Index auf dem Weg nach oben den Widerstand bei 24.262 zurück, können Anschlusskäufe den MDAX zu einem neuen Allzeithoch tragen.