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Halvers
Kolumne

 
23.06.2022

Was tut Politik, wenn die Ära der Globalisierung ihren Zenit überschritten hat?

Nach der Corona-Pandemie und spätestens seit dem Ukraine-Krieg wird über das Ende der Globalisierung diskutiert. Käme es sogar zum geopolitischen Schulterschluss von Russland und China gegen den Westen, ginge es massiv an die Grundfesten des Welthandels. Vor allem der Wohlstand Europas und Deutschlands wäre gefährdet. Was hat unsere Politik dem entgegenzusetzen?

Mit der weiten Welt Handel zu treiben, hat speziell Deutschland großen Wohlstand beschert. Das Geschäftsmodell - Rohstoffe weltweit günstig zu beschaffen, zu attraktiven Produkten zu veredeln und dann zu exportieren - war geradezu Nobelpreis-verdächtig.

Doch haben Corona, der Ukraine-Krieg und Chinas Null-Covid-Strategie die Anfälligkeit dieses Traumszenarios schonungslos aufgedeckt. Was nutzen beste Ingenieure und bestes Industrie-Know-How, wenn die einzukaufende Energie teuer ist und im Extremfall sogar fehlt? Wenn jetzt ehemalige deutsche Politiker und Politikerinnen sagen, sie hätten die russische Gefahr bereits 2007 erkannt, muss man sich fragen, warum dann noch zig Jahre ein unverantwortlicher Dornröschenschlaf stattgefunden hat und keine Gegenmaßnahmen ergriffen wurden, um der zunehmenden Energieabhängigkeit zu entkommen. Ein Unternehmen, das solche Klumpenrisiken einginge, hätte an der Börse längst das Zeitliche gesegnet. Jetzt muss unser Wirtschaftsminister die Suppe auslöffeln, die zweite Stufe des Gas-Notfallplans ausrufen und in Ländern um Rohstoffe betteln, die von Demokratie und Menschenrechten so wenig halten wie Hunde von leeren Fressnäpfen.

Bei einer De-Globalisierung hätte Deutschland im Status Quo schlechte Karten

So abhängig wie bei Gas von Russland ist Europa übrigens auch bei industriellen Vorprodukten und seltenen Erden von China. Und es könnte noch heftiger kommen. Bei einem Zusammenschluss Russlands und Chinas gegen den Westen würde die Welt in zwei Blöcke aufgeteilt. Da dann China automatisch mit westlichen Sanktionen belegt würde, käme die Lieferung von Vorprodukten aus dem Land der Mitte nach Europa noch mehr zum Erliegen. Nicht zuletzt versucht Putin auch andere Länder wie Indien, Südafrika und Brasilien mit verlockenden Energierabatten zu ködern. So kommen diese Länder in den Genuss eines satten Wettbewerbsvorteils gegenüber etablierten Industrienationen. Das wertet nicht zuletzt deren Standorte für europäische Unternehmen auf. Und je mehr Putin seine Abnehmerschaft diversifiziert, umso weniger ist er auf Europa angewiesen.

Aber da gibt es ja noch unseren Freund und Beschützer Amerika, oder? Doch auch die USA spielen nicht den Energie-Sankt Martin für europäische Verbündete. Es gibt weder bei Liefermengen, noch beim Preis Bevorzugungen. Diese America First-Haltung lässt sich nicht zuletzt an der Behandlung europäischer Unternehmen ablesen. Man frage einfach einmal in Leverkusen bei Bayer nach.

Zwar hat China zumindest vorerst kein großes Interesse an Schikanen gegen den Westen. Die Null-Covid-Strategie setzt dem Land massiv zu: Millionen von Uni-Absolventen finden keine Jobs, die Immobilienkrise wuchert wie Unkraut auf Streuobstwiesen und die Laune der Chinesen ist weniger süß als sauer. Inoffiziell ist eine Stagflation durchaus möglich. Daher braucht China seinen gewaltigen Außenhandel, um über die Runden zu kommen. Und so gerne China vom Gesinnungsfreund Öl und Gas zu Billigpreisen abnimmt, ist Russland mit einer kombinierten Wirtschaftsleistung der Niederlande und Belgien kein Ersatz für den gesamten kaufkräftigen Westen.

Doch ist das Risiko, dass China seinen Abhängigkeits-Hammer auf den europäischen Amboss schlägt, nicht von der Hand zu weisen. Derzeit ist Europa ja noch nicht einmal in der Lage, selbst Paracetamol zu produzieren. Gegen all diese neuen Wirtschafts-Schmerzen ist selbst im Zaubergarten der EZB kein Heilkraut gewachsen.

„Der Westen ist verweichlicht“

Leider ist an diesem Zitat von Putin etwas dran. In Europa hält man Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand für selbstverständlich. Diese Segnungen fallen allerdings nicht vom Himmel wie Sterntaler im gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm. Wenn angesichts der Strukturkrisen der Bundesfinanzminister die Bevölkerung mit für Politiker ungewöhnlich klaren Worten auf bis zu fünf Jahre der Entbehrung einschwört, wird klar, dass wirtschaftlich nichts selbstverständlich ist. Man muss etwas dafür tun, damit die lieb gewonnene Komfortzone nicht in Gefahr gerät.

Putin jetzt beschwichtigend entgegenzukommen, ist keine Lösung. Das zeigt die Geschichte klar. Denn dann will Peter der Große 2.0 immer mehr. Und das hohe Lied der Staatswirtschaft zu singen, heilt die ökonomischen Wunden ebenso wenig. Zuviel Staatseinfluss zeigte schon in Schweden, dass die Wirtschaft an die Wand gefahren wird. Man darf den Bürgern nicht vorgaukeln, dass Vater Staat es besser und alles finanzieren kann. Wir sind bereits an der Belastungsgrenze.    

Dann drohen entweder unendliche Steuererhöhungen, die Gift für die Wirtschaft sind. Oder - viel wahrscheinlicher - spielt die EZB weiter den fröhlichen Mundschenk für gewaltige staatliche Schuldenaufnahmen. Und wenn Christine Lagarde dann anhaltend nur mit Wattebällchen gegen das gefährliche Inflations-Monster ankämpft, geht der Kaufkraftverlust munter weiter, was den Staat zur weiteren Kompensation auf den Plan ruft und damit die EZB als Big Spender wieder eingreifen muss. Ein Teufelskreis.   

Wir brauchen einen Plan B

Noch kümmert sich die Politik lieber um Nebenkriegsschauplätze. So macht die Gender-Gerechtigkeit mittlerweile vor nichts mehr Halt. In der Politik werden tatsächlich Stimmen laut, der Hirsch auf dem Verkehrsschild „Wildwechsel“ solle sein markantes Geweih verlieren. Denn auch Hirschkühe verdienten die Rücksicht der „Autofahrenden“.  

Ach, wie glücklich kann sich ein Land schätzen, das offensichtlich keine anderen Probleme hat. Wie würden die politisch Korrekten wohl den Begriff „Herrenloses Damenfahrrad“ gendern?

Das Problem ist nur, dass wir von Deutschland reden, einem Land, das Probleme hat. Ich bin kein Nestbeschmutzer. Ich weiß, dass es uns im Vergleich immer noch gutgeht. Aber müsste die Politik nicht alles dafür tun, dass es auch so bleibt bzw. das schleichende Siechtum umgekehrt wird?  

Ja, die Politik muss die Mistgabel in die Hand nehmen und die Probleme ausmisten. Ihre Aufgabe ist es, Schaden von Deutschland und Europa abzuwenden. Und sie sind auch verantwortlich für das, was sie nicht tun. Neue nachhaltige Wachstumspotenziale müssen her, die den Kamin auch bei einem weniger üppigen Freihandel rauchen lassen. Jetzt war ich schon wieder politisch unkorrekt. Der Klimaschutz darf nicht nur ideologisch betrachtet werden, sondern muss auch eine ökonomische Dimension haben. Und wenn wir uns aus Kostengründen in puncto Produktion keine komplette Entkopplung von China leisten können, so müssen Europa und Deutschland alternativ zu Dienstleistungstempeln werden.

Vor allem aber müssen die europäischen Volkswirtschaften wieder zurück zur sozialen Marktwirtschaft. Das Fell des Bären kann erst dann verteilt werden, wenn der Bär erlegt ist. Bitte wieder mehr Leistungsprinzip wagen! Der ideologische Ballast und die finanzielle Repression, die dem Wohlstand im Weg stehen, müssen entrümpelt werden. Die Energieversorgung sollte vorübergehend auch intensiv mit Old Energy gewährleistet sein. Ansonsten werden kalte Hintern im Winter die Akzeptanz der Energiewende gefährden.

Und das beste in puncto Digitalisierung ist gerade gut genug, um unsere Standortqualitäten auf Weltklasse-Niveau zu heben. Nicht zuletzt muss ein reibungslos funktionierender Binnenmarkt her, der so viel Schmackes hat, dass andere Wirtschaftsregionen gerne mit uns Handel auf Augenhöhe treiben.

Das wird aber dauern. All das ist bei der Vielzahl von europäischen Ländern nicht einfach. Aber haben wir eine andere Wahl? Im geopolitischen Haifischbecken ist der Rückschritt zu schwachen, ja regelrecht impotenten Nationalstaaten eine Sackgasse. Europa muss an Regierungsfähigkeit gewinnen. Das Einstimmigkeitsprinzip gehört auf den Müll und muss durch qualifizierte Mehrheiten ersetzt werden. Gleichzeitig muss das Parlament mehr zu sagen haben. Das zähe Ringen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ohne wirklich etwas zu bewegen, kann die überwältigenden Probleme schon längst nicht mehr lösen.

Wenn konjunkturell zurzeit keine süßen Zuckerplätzchen verteilt werden, muss man sich vorübergehend mit hartem Schwarzbrot zufriedengeben. In dieser Zwischenzeit jedoch muss man (wirtschafts-) politisch hart ackern, damit zukünftig die Süße zurückkommt. Das sind schwierige Aufgaben. Aber einfach kann jeder.

Und wenn man die Hitze der politischen Küche nicht aushält, ist niemand gezwungen, Koch zu werden.