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Halvers
Kolumne

 
12.10.2022

Haben die US-Arbeitsmarktdaten an den Börsen eine viel zu große Bedeutung?

Die meistbeachteten Einflussfaktoren an den Finanzmärkten scheinen aktuell die amerikanischen Arbeitsmarktdaten zu sein. Die Logik dabei: Gute Beschäftigungszahlen veranlassen Verbraucher in der konsumabhängigen US-Wirtschaft zum Geld ausgeben, was die Inflation antreibt und die Fed immer weiter die Leitzinsen erhöhen lässt. Und da Zinsen wiederum der Erzfeind für Aktien sind, fallen deren Kurse. Aber machen es sich die Anleger mit dieser Gleichung nicht etwas zu einfach?

Anleger reagieren auf Arbeitsmarktdaten wie der Pawlowsche Hund auf den Glockenton

Zurzeit sind die Anleger auf Daten vom Arbeitsmarkt fixiert, wie die Katze auf die Maus. Auch die US-Notenbank betont sie so häufig wie die Kirche das Amen, hat sie sogar zum Kardinalkriterium für Inflation und ihre Zinserhöhungspolitik erkoren. So ist es kein Wunder, dass die auch zuletzt guten Beschäftigungsdaten die Börsen trafen wie der plötzliche Regen den schirmlosen Spaziergänger.

Aber haben die Daten wirklich so viel Nährwert für Wirtschaft und Börse? Zunächst, wie können im großen Amerika mit seiner verträumten Verwaltung schon am Ende des jeweiligen Monats amtliche Arbeitsmarktzahlen vorliegen? Ganz einfach, sie werden geschätzt, leider sehr grob geschätzt. Damit haben sie nicht wesentlich mehr Verlässlichkeit als aktuelle Prognosen, ob es weiße Weihnachten gibt.

Konkret wird die Anzahl der neu geschaffenen Stellen geschätzt, indem das Arbeitsministerium jeden Monat ca. 150 Tausend öffentliche und private Unternehmen befragt, ob und wenn ja, wie viele Menschen eingestellt oder entlassen wurden. Obwohl damit noch nicht einmal eine Million Arbeitsplätze berücksichtigt werden - die Grundgesamtheit also statistisch zu klein ist - rechnet man diese Zahl für alle beschäftigten Amerikas dennoch hoch. Dass der Schätzfehler groß ist, lässt sich auch daran erkennen, dass der vom amerikanischen Privatanbieter ADP ermittelte Arbeitsmarktbericht, der zwei Tage vor den offiziellen Daten zu neu geschaffenen Stellen ermittelt wird, oft so krasse Abweichungen zeigt, als ob man zwei verschiedene Länder betrachten würde. Nicht zuletzt werden die Schätzdaten nach einem Monat von der Realität teilweise massiv korrigiert.  

Ebenso ist die offizielle Arbeitslosenrate auf sandigem Gelände gebaut. Zur Berechnung bezieht man sich auf die Anzahl der für Arbeit zur Verfügung stehenden Personen, amerikanisch „Work Force“ genannt. Diese Work Force liefert aber ebenso eine schwammige Basisgröße, die die Arbeitslosigkeit schönt. So werden z.B. Bürger nicht berücksichtigt, die sich nicht mehr als arbeitslos melden, weil sie ohnehin keine staatliche Stütze mehr erhalten oder lieber schwarzarbeiten. Aber auch Teilzeit arbeitende Menschen, die gerne voll arbeiten würden, werden nicht berücksichtigt. Würden die Daten sauber berechnet - wie es der amerikanische Datenanbieter shadowstats macht - wäre die US-Arbeitslosenquote etwa doppelt so hoch.

Rational betrachtet sind die US-Arbeitsmarktdaten also nur begrenzt geeignet, Konsum und Inflationsentwicklung sauber einzuschätzen. Und sie als wesentliche Grundlage von Zinspolitik zu verwenden, ist geradezu gewagt.

Als konjunktureller Spätindikator taugt der Arbeitsmarkt wenig als Zins-Indikator

Der Arbeitsmarkt ist vergleichbar mit einem großen Rosenmontagszug in einer karnevalistischen Hochburg. Während die Spitze des Umzugs fast schon am Ziel angekommen ist, ist der letzte Zugwagen, der Prinzenwagen, noch nicht einmal gestartet. Es dauert Monate, bis die vergangenen Zinserhöhungen als Frühindikator sich durch den gesamten Zugweg der Konjunktur - Unternehmensstimmung, Auftragslage, Produktion - fressen und schließlich am Arbeitsmarkt schädigend wirken. Die US-Notenbank darf also nicht übertreiben. Ansonsten wird aus einem stabilen Arbeitsmarkt ein brüchiger. Handwerker wissen: Nach fest kommt ab.

Zur Erinnerung: Der damalige Fed-Chef und neue Wirtschaftsnobelpreisträger Ben Bernanke hatte von 2004 bis 2006 die Leitzinsen von einem auf 5,25 Prozent hochgetrieben. Wegen nachfolgenden wirtschaftlich schweren Verwerfungen musste er diese dann bis 2008 auf 0,25 Prozent senken. Eigentlich sollte das gebrannte Fed-Kind das Feuer meiden.

Don’t fight the Fed: Die Arbeitsmarktdaten sind wichtig, weil die Fed sie wichtig nimmt, aber…

Dass die aktuellen Arbeitsmarktdaten keine über jeden Zweifel erhabene konjunkturelle Größe mit klarer zinspolitischer Leitfunktion sind, hilft Anlegern aber nicht weiter. Es nutzt nichts, sich über die US-Notenbank zu stellen und eher auf sinkende Preise an den Börsen oder im Immobiliensektor, Liquiditätsprobleme und die anstehende Rezession, die natürlich inflationsabwürgend wirken, zu schauen, wenn die Fed ihren Glauben an den Arbeitsmarkt scheinbar unbeirrt verfolgt.  

Die Fed will offenbar erst dann Zinsmilde walten lassen, wenn die Arbeitsmarktdaten nachgeben. Auf diese frohe Erlösungsbotschaft zu warten, ist immerhin kein Warten auf Godot. Denn die letzten Arbeitsmarktdaten waren zwar gut, aber nicht mehr so gut. Es werden immer weniger neue Stellen geschaffen.

Der Konjunkturzug kommt früher oder später auch am Arbeitsmarkt an. Die dann nicht mehr zu verhindernde Zinsentspannung wird die Aktienmärkte erfreuen.