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Halvers
Kolumne

 
27.04.2022

Mit der Wiederwahl Macrons hat Europa nur Zeit gewonnen

Viele Franzosen haben Macron nur als das kleinere Übel gegenüber Le Pen gewählt. Weiteren Reformstau und damit Wohlfahrtsverluste kann sich der alte und neue Staatspräsident nicht mehr erlauben. Sonst würden extreme Parteien bei der nächsten Präsidentenwahl in fünf Jahren doch noch zum Zug kommen. EU-relevant wie Frankreich ist, könnte Europa dann - zumal in geopolitisch und wirtschaftlich schwierigem Fahrwasser - irreparabler Schaden zugefügt werden.   

In Frankreich ist noch einmal alles gut gegangen, aber…

Unter Le Pen käme der deutsch-französische Motor, der Europa schon oft aus dem Krisen-Sumpf gezogen hat, zum Stehen. Sollte nach Großbritannien noch ein weiterer Stammspieler den EU-Verein verlassen oder zumindest angeschlagen auf der Ersatzbank sitzen, hätte Rest-Europa in der geopolitischen Champions League gegenüber Autokratien kaum noch Chancen. Frieden, Freiheit und Menschenrechte gerieten in die Defensive. Leider muss man feststellen, dass diese Segnungen, für die kein europäisches Land so sehr wie Frankreich gekämpft hat, heutzutage als selbstverständlich betrachtet werden. Nein, das sind sie nicht!  

Überhaupt, wie will ein europäischer Flickenteppich zukünftig gegen die harten Wirtschaftshegemone China und USA bestehen, die uns zum Fressen gernhaben. Die finale Euro-Sklerose ist zum Glück aufgehalten worden und so ist man in Brüssel, Paris und Berlin längst wieder zur Tagesordnung übergegangen.

Doch es gibt auch das schleichende Euro-Gift. Vier von 10 Franzosen haben Le Pen gewählt. Man kann hier nicht wirklich von einer Minderheit, von einem kleinen gallischen Dorf sprechen. Was ist denn, wenn sich bis zur nächsten Präsidentenwal 2027 die Lebensumstände der Franzosen noch weiter verschlechtert haben? Dann würde ihre Neigung noch größer, es doch einmal mit der Zuckerpuppe aus der rechten Gruppe zu versuchen. Bereits heute glauben viele Franzosen, dass nur der klassische Nationalstaat die (wirtschaftlichen) Probleme lösen könne, die Europa erst verursacht habe. Tatsächlich gehört Frankreich mittlerweile zu den Ländern mit den geringsten EU-Zustimmungsquoten. Nur noch ca. ein Drittel vertraut Europa.

Der Weg des geringsten politischen Widerstands ist am Ende immer der schwerste

Die Gefahr einer Rechtsverschiebung in Frankreich mit der Folge europäischen Siechtums darf jetzt keinesfalls als Alibi missbraucht werden, auch noch die letzten europäischen Stabilitätskriterien, marktwirtschaftlichen Reformaktivitäten oder das Leistungsprinzip unter die Guillotine zu legen. Nicht ihre Anwendung, sondern ihre Nichtanwendung haben dazu geführt, dass die Perspektiven der Franzosen nicht mehr La Vie En Rose versprechen. Immer weniger Wettbewerbsfähigkeit und damit Wachstumsschwäche können das Wohlstands- und Sozialversprechen immer weniger einhalten.   

Natürlich muss Europa weiter zusammenwachsen, um global überhaupt ernstgenommen zu werden. Aber es kommt auf das Wie an. Staatswirtschaftliche Behäbigkeit und Gefälligkeitsökonomie sind ein langsam wirkendes Gift, das für alle ins Verderben führt. In dieser Disziplin ist die EU ohne Zweifel Weltklasse. Man ist sehr innovativ darin, Instrumente zu schaffen, die die Probleme nicht lösen, sondern nur nach hinten verschieben. Längst ist es alternativlos, dass z.B. europäische Schulden-Versicherungen auch für selbstverschuldete nationale Wirtschafts- und Finanz-Totalschäden ohne Eigenbeteiligung aufkommen.

Frankreich wie auch andere EU-Staaten können ihre ernsten Strukturprobleme nicht mit europäischem Finanz-Sozialismus, sondern nur mit disziplinierten Standortmodernisierungen lösen, die erst Perspektiven schaffen. Man tut unserem Kontinent um des lieben europäischen Friedens willen keinen Gefallen, die Tür zum Müßiggang endgültig sperrangelweit aufzumachen. Denn man gewöhnt sich daran. Man bekommt sie nicht mehr zu.  Oder hat man die stabilitätsfeindlichen Rettungsaktionen während der Griechenland- und Italien-Krise wieder eingefangen? Nein, sie waren der Beginn der Schleifung der europäischen Stabilitätsburg.

Natürlich sollte man den Wählern aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Mund reden

Naturgemäß tut es Politikern weh, wenn sie die Komfortzone der Wähler beeinträchtigen. Aber sie werden doch nicht dafür bezahlt, nur in Talkshows schön auszuschauen, perfekt geschminkt zu sein und geschliffene, gedrechselte Episteln abzusondern. Mir wäre es lieber, wir würden von den hässlichsten Politikern aller Zeiten regiert, wenn sie dafür ihren Bevölkerungen aber klarmachen, dass der Wohlstand nicht vom Himmel fällt, sondern dass man dafür hart ackern und vorübergehend auch Schmerzen aushalten muss. Unsere weltweiten Konkurrenten praktizieren diese „Nur, wenn gebohrt wird, hört der Zahnschmerz auf“-Therapie.

Es ist ja nicht so, als hätte es diesen Politikertyp in Europa nie gegeben. Dazu gehört Monsieur le Président bislang definitiv nicht, obwohl er alle Möglichkeiten dazu gehabt hätte. Vive la Trance statt Vive la France. Wie in kaum einem anderen Land verfügte er über eine dicke absolute Mehrheit im Parlament, mit der man mit klarer Reformpolitik hätte durchregieren können. Wer weiß, ob er sie nach der Parlamentswahl im kommenden Juni noch behält. So wie man auch in puncto Liebe bei der Richtigen bzw. dem Richtigen sofort zugreifen muss, ist es auch mit den Chancen in der (wirtschafts-)Politik. Nein, Macrons Partei „En Marche“ ist bislang kein Durchmarsch gewesen. Reformverweigerung, Innovationsalarm und Mutlosigkeit gehören auch unter Macron zu Frankreich wie Crème Brûlée, Baguette und Rotwein.

Und dabei lässt Emmanuel Macron sich immer wieder gern mit John F. Kennedy vergleichen. Dann sollte er sich aber an einem seiner Leitmotive orientieren: Frage nicht, was Europa für Frankreich, sondern was Frankreich für Europa tun kann.

Leider haben sich in den letzten Jahren auch deutsche Politiker nicht mit Reform-Ruhm bekleckert. Ach, was wäre nicht alles erreichbar gewesen, wenn der deutsch-französische Motor den europäischen Karren Richtung Innovation, Energiesicherheit, intakte Infrastruktur und auch Klimaschutz gezogen hätte, der nicht nur ideologisch, sondern als neues langfristiges Geschäftsmodell Europa funktionieren würde. Wir haben viel zu viel nach Amerika und China abwandern lassen. Politik hat nur verwaltet und moderiert, aber wenig gestaltet und regiert. Und das wurde dann auch noch als Regieren mit besonnener und ruhiger Hand verkauft. Jeder Fußballverein wäre mit solchen Trainern längst abgestiegen.   

Stattdessen wird die EZB immer mehr zum ultimativen Krisenlöser in Europa aufgebaut. Unter der Führung von Christine Lagarde wird mit französischer Revolutionsleidenschaft unverhohlen Staatsfinanzierung betrieben. Man wird zum Couch Potatoe, das macht faul, weil man sich selbst nicht bewegen muss. Müßiggang ist aller Laster Anfang: Fortschritt, Wachstum und Perspektiven bleiben auf der Strecke.

Die Währung gilt als Aktienkurs eines Landes oder einer Region. Insofern fällt der gegenüber Dollar schwache Euro ein schwaches Urteil über Europas Zukunftsaussichten. Man mag jetzt einwenden, dass dies Folge einer restriktiveren Zinspolitik der Fed ist. Nein, anders herum wird ein Schuh daraus: Amerika kann sich aufgrund seiner Wirtschaftsstärke eben höhere Zinsen leisten.

Natürlich hat auch Europa Potenzial und Talente. Doch statt Europa sozusagen zu einem wirtschaftspolitischen Feinschmeckerrestaurant zu machen, wird uns leider nur Pommes rotweiß serviert. Mangelnde kulinarische Köstlichkeiten locken aber wohl kaum Investoren nach Europa, die sich als Gourmets die schmackhaftesten Standorte aussuchen können.

Europa läuft die Zeit weg. Wenn wir den vermeintlich bequemen Weg nicht bald beenden, werden selbst Pommes Frites zum Luxusgut.