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Halvers
Kolumne

 
06.07.2022

Die Sache mit der Inflationsbekämpfung

Wie Schulkinder auf die Ferien warten alle gespannt auf den Rückgang der Inflation. Zwar gibt es durchaus Gründe, dass sie zukünftig etwas nachgibt. Aber um sie auf das Niveau vor Corona und Ukraine-Krieg zu drücken, müsste vor allem die EZB gewaltig über ihren Schatten springen. Aber inwieweit wird sie wirklich die harte Knute auspacken, die mit ebenso harten (finanz-)wirtschaftlichen Folgeschäden verbunden ist?

Neuer „Kalter“ Krieg

Vor allem hält uns die Energiekrise in Atem. Nach der Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 wird Putin vermutlich kein totales Lieferende ausrufen, sondern eher weiter reduzieren. So kann er uns wie einen Fisch an der Angel zappeln zu lassen und sich sadistisch an den gestiegenen Preisen laben.

Übrigens, auch auf kolossal sinkende Ölpreise wegen rezessiver Nachfrageschwäche sollte niemand hoffen. Das Trauma der OPEC und Russlands im Zuge der Corona-Pandemie, als der Ölpreis an den Terminmärkten unter null fiel und die Staatseinnahmen kollabierten, wollen sie niemals wieder erleben. Daher werden sie ihre Fördermengen mit der Nachfrage auch nach unten atmen lassen.

Zwar arbeitet die Bundesregierung mit Hochdruck an Alternativen. Doch sind die ideologischen Bretter vor so manchem Politiker-Kopf weiter aus Hartholz gefertigt, obwohl wir in einer Extremsituation sind. Ist es unzumutbar, die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland zumindest so lange laufen zu lassen, bis wir alternativ satisfaktionsfähig sind? Auf sie entfallen zwar nur sechs Prozent der deutschen Stromerzeugung. Aber in dieser Größenordnung muss eben nicht kostbares Gas verstromt werden. Würden deutsche Unternehmen bei Stromknappheit nicht sofort französische Kernenergie importieren? Überhaupt, worin liegt die Logik, wenn man CO2-absondernde Kohlekraftwerke wieder zulässt, Atomenergie aber nicht.

Und dann das Thema Gas. Ist es moralisch einwandfrei, weltweit um gefracktes Gas auch in Ländern zu buhlen, die diplomatisch ausgedrückt die Menschenrechte nicht erfunden haben, aber über entsprechende Gasvorkommen in Niedersachsen von vornherein nur die Nase zu rümpfen?

Kein vernünftiger Mensch hat was gegen die Energiewende. Doch sollte auf dem Weg dorthin pragmatisch alles unternommen werden, damit der Inflationsdruck und damit Kaufkraftverlust und die Energiesorgen der Industrie so gering wie möglich bleiben. Nur staatlich empfohlene kürzere Duschzeiten oder der selbstgestrickte Pullover von Häkel-Tante Anna helfen nicht. In Ausnahmesituationen - und die haben wir - gehören sture (Umerziehungs-)Ideologien in die Schublade.

Überhaupt bietet auch die Energiewende keine wirkliche Preisentspannung, im Gegenteil. Statt frühzeitig die Weichen zu stellen, hat die deutsche Politik blind und grob fahrlässig auf Onkel Wladimir vertraut. Damit haben wir wertvolle Zeit verloren. Und wer sich jetzt die Preise von Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen anschaut, die wie Windräder mangels Vorprodukten rare Güter sind, weiß, dass die energiewendige Inflation noch lange galoppieren wird. Und wo kommen diese Güter auch in puncto E-Mobilität mehrheitlich her? De facto ist unsere Energiewende von Pekings Gnaden abhängig.

An die Blutgrätsche traut sich die (Geld-)Politik nicht mehr heran

Da Inflation vor allem als relative Größe gemessen wird - Vergleich des aktuellen mit dem Vorjahres-Monat - ist zwar zu erwarten, dass die Dynamik der Preisentwicklung früher oder später etwas nachgibt. Es wird nicht permanent neue Rekorde bei Inflationsraten geben. Aber ein bisschen weniger schlimm ist noch lange nicht gut. Der Inflationsdruck bleibt grundsätzlich hoch. Das hat kürzlich sogar EZB-Präsidentin Lagarde bestätigt, was für ihre Verhältnisse eine wahrhaft epochale Aussage ist.

Auf die theoretische Möglichkeit eines nachhaltigen Inflationsrückgangs, indem sich in Russland (energie-)politisch die Dinge zum Besseren wenden, können wir praktisch verzichten. Aus dem russischen Staatspräsidenten wird kein Friedensengel mehr.

Theoretisch könnten Notenbanken der Inflation das Genick brechen, indem sie das viel zu viel vorhandene Geld absaugen, konkret ihre massiv angekauften Anleihen wieder massiv verkaufen und markante Leitzinserhöhungen durchführen. So machte es die Fed unter Paul Volcker nach dem zweiten Ölpreis-Schock in den 80er Jahren: Der Leitzins wurde auf 20 und die Rendite von zehnjährigen US-Staatsanleihen bis auf 16 Prozent getrieben. Auch die Bundesbank betrieb damals eine rigorose Preisstabilität. Der Preis war eine harte Rezession.

Die Zinswende im Euro-Raum droht zu enden, bevor sie beginnt

An diese geldpolitische Unerbittlichkeit traut sich heute keiner mehr ran. Denn während z.B. damals die Verschuldung der USA lediglich ca. 30 Prozent der Wirtschaftsleistung betrug und Vater Staat also noch Ausgleichspotenziale hatte, ist sie mittlerweile deutlich über 100 gestiegen. In einigen Euro-Staaten sieht es noch weit schlimmer aus. Knallharte Inflationsbekämpfung wird daher gemieden, um den aus dem letzten Loch pfeifenden Staat nicht dramatisch überzubeanspruchen, wirtschaftliche Einbrüche und Zahlungsausfälle oder gar eine finale Systemkrise zu riskieren. Wirtschaftskrisen waren am Ende auch immer Demokratiekrisen.

Und was folgt also aus Madame Lagardes Inflations-Realitäts-Check? Gibt es zumindest eine restriktive Geldpolitik wie bei der Fed? Die Devisenmärkte beantworten diese Frage klar mit einem Euro-USD-Kurs auf 20-Jahrestief. Angesichts der Rezessionsgefahr und der Strukturdefizite ist zu vermuten, dass aus der Leitzinswende das -wendchen wird.

Offensichtlich will die EZB rezessive Einbußen weiter durch angenehm günstige staatliche Schuldenaufnahme ausgleichen. Damit gelangt noch mehr Geld in die Wirtschaft, die über steigende Nachfrage die Inflation noch mehr anfacht. Diese wiederum sorgt für noch mehr Inflation, die noch mehr Kaufkraftverlust und Unternehmenspleiten verursacht, die dann durch die Blutsbrüder Finanz- und Geldpolitik noch mehr aufgefangen werden.

„Macht kaputt, was euch kaputt macht.“

Um der Schulden und der von ihr angeheizten Inflation Herr zu werden, scheut so mancher unorthodoxe (Geld-)Politiker auch vor Schuldenstreichung nicht zurück. Die internationalen Gläubiger wären wohl kaum begeistert. Was in einem kleineren Land wie Griechenland mit allen Tricks noch halbwegs möglich war, würde bei großen Ländern wie Italien auch dem gemeinsamen Währungsraum jede finanz- und wirtschaftspolitische Glaubwürdigkeit nehmen. Der Euro würde zur neuen Schwachwährung der Welt, was noch mehr Inflation importieren würde. Und da die Risikoprämien von Zinspapieren und damit die Kreditzinsen explodierten, ginge die Wirtschaft in die Knie.

Eine gleichsam schwachsinnige Schuldenlösung ist die Monetisierung der Staatspapiere allein durch die EZB, ohne sie auf dem Rentenmarkt platzieren zu müssen. Aufgrund einer dann hemmungslosen Euroschwemme durch einen ausgabefreudigen Vater Staat auf Koks würde das Vertrauen in den Euro als Zahlungsmittel und Wertanlage atomisiert. Der Kaufkraftverlust des Euros wäre vergleichbar mit der früheren italienischen Lira, die unter den Eskapaden der Banca d‘Italia litt. Damals war dies der Grund, warum die Italiener mit Freude die Lira für den Euro aufgaben.

Zum Glück kommen solche Scherzartikel zumindest vorerst nicht zur Anwendung. Doch wird es ebenso keine Wiederherstellung der Preisstabilität geben. Der vermeintlich einfache „Weg des geringsten Widerstands“ wird weiter beschritten. Und das ist die Entwertung des üppig geschaffenen Geldes zur Finanzierung grenzenloser Staatsverschuldung durch Inflation. Der Durchlauferhitzer für Inflation läuft reibungslos.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn die EZB früher oder später ihr Inflationsziel nach oben anpasst: Die Drei bzw. Vier ist die „bessere“ Zwei.

Wie sagte Frau Lagarde doch so treffend: Die Inflation ist nachhaltig hoch. Damit müssen wir leben.