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Halvers
Kolumne

 
05.07.2023

Kommt die Geldpolitik bei ihrer „Gartenarbeit“ zum zweiten Mal zu spät?

Der größte Fehler der Notenbanken war ihr Urvertrauen, dass die mit Corona kommende Inflation nur vorübergehend ist. Erst nach langer Verzögerung setzten dynamische Zinsrestriktionen ein, die laut Fed und EZB sogar noch fortzusetzen sind. Doch wie groß sind die Risiken, dass ihre Zinserhöhungszyklen zu spät enden? Besteht die Gefahr, dass große volks- und finanzwirtschaftliche Schäden erneut mit massiven Zinslockerungen geheilt werden müssen?

Inflation ist wie Unkraut und muss frühzeitig beseitigt werden

Wer einen Garten hat, weiß, dass Unkraut früh gejätet werden muss, da ansonsten seine Beseitigung immer aufwendiger wird. So ist es auch mit Inflation. Reagiert man zu spät, kommt es zu Wildwuchs. Tatsächlich war die EZB lange kein Gartenfreud, da sie hoffte, das Unkraut würde von allein zurückgehen. Und nach Jahrzehnten nur mäßiger Preissteigerungen hatte man Unkrautbefall gar nicht mehr auf dem Radarschirm. Dieses Laissez-faire von Christine Lagarde - offenbar eine Anhängerin von Streuobstwiesen, nicht von Wembley-Rasen - hat die EZB viel Reputation gekostet.

Hartnäckig ist vor allem die Kerninflation, die so etwas wie die Brennnessel der Preisentwicklung ist. Hierfür sind Zweitrundeneffekte verantwortlich. Denn höhere Löhne geben Unternehmen ebenso weiter wie der Staat. Erschwerend leiden wir nicht unter Arbeitslosigkeit, sondern Arbeiterlosigkeit.

Hinzu kommt die uns staatlich immer mehr antrainierte Vollkaskomentalität. Politiker fürchten, dass Wohlstands- in Wählerverluste münden. Und so ist die Subventionitis ausgebrochen. Leider zielt diese schuldenfinanzierte Staatswirtschaft primär auf den schnellen Konsum ab. Da das Angebot aber nicht entsprechend verfügbar ist, wirkt die Nachfrage auf Inflation wie Kunstdünger auf Löwenzahn.  

Auch die grüne Transformation der Industriegesellschaft treibt Inflation. Dekarbonisierung, E-Mobilität, Wärmewende und Digitalisierung verlangen deutlich mehr Energie, die aber nicht ausreichend vorhanden ist, auch weil sie im Inland künstlich verknappt wird. Also muss sie teuer eingekauft werden.   

Angesichts all dieser brutalen Geldwertverluste hat die EZB die Reißleine gezogen und von Juli 2022 bis heute die Leitzinsen dramatisch, acht Mal von null auf bislang vier Prozent erhöht. Die Fed hat bislang 10 Mal erhöht. Und die harte Rhetorik der Notenbanken lässt zunächst vermuten, dass man dem Unkraut weiter zu Leibe rückt. Der Chef der US-Notenbank will von einem Ende der Zinserhöhungen nichts wissen. Und mit Hacke, Unkrautstecher und Fugenkratzer scheint die EZB erst richtig loszulegen. Der Inflationsprozess sei persistent, anhaltend, nicht transitorisch, vorübergehend. Insofern sei es für die EZB in der nächsten Zeit kaum möglich, zu verkünden, dass der Zinsgipfel erreicht sei.

Zu späte und radikale Unkrautbeseitigung gefährdet aber auch die gute Flora

Allerdings ist bei Inflationsbekämpfung über zu viel restriktive Zinspolitik nicht nur das Unkraut bedroht, sondern auch die wünschenswerte Flora. Dramatische Zinserhöhungen wirken wie Gift auf völlig überschuldete Volkswirtschaften, die ohne Wachstum noch mehr Probleme beim Zins- und Tilgungsdienst haben. In Amerika ist die pervers-inverse Zinsstrukturkurve ein klarer Rezessionsindikator. In der Tat lassen viele US-Frühindikatoren die Köpfe hängen wie lange nicht gegossene Blumen.   

Absurderweise können Zinserhöhungen in puncto Inflation sogar kontraproduktiv sein. Mit steigenden Kreditzinsen wird weniger in Produktionskapazitäten investiert, was die Güterverfügbarkeit verknappt und so Preise weiter antreibt. Die Banken sind bei Kreditvergaben wegen mangelnder Befähigung zum Schuldendienst ohnehin vorsichtiger. Insofern werden weniger neue Immobilien gebaut, was angesichts der Wohnungsnot die Mietpreisspirale noch weiterdreht.

Grundsätzlich sieht sich die Geldpolitik mit vielen Unsicherheiten konfrontiert. Pandemien, Kriege und geopolitische Spannungen sind resistente Unkrautsorten, kaum kontrollierbare Treiber der Inflation. Fed, EZB und Co. haben es also nicht unmittelbar in der Hand, die Inflation zügig wieder auf das Ziel von zwei Prozent zu senken, es sei denn, man macht die Konjunktur unfruchtbar.   

Wird die Geldpolitik diesen Preis mit all seinen real- und finanzwirtschaftlichen sowie sozialen Folgen riskieren? Wohl kaum, denn dann wäre sie gezwungen, mit anschließenden Dünge- und Bewässerungsaktionen, mit gewaltigen Zinssenkungen dagegenzuhalten. Diesen Kahlschlag, dem anschließend die Wiederaufforstung folgt, sollten Notenbanken schon aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht betreiben.

Insgesamt ist es in unserer heutigen von Unsicherheiten und Fremdeinflüssen geprägten Zeit im Vergleich zu früher deutlich schwieriger, abzuschätzen, wann und wie stark das zinspolitische Unkraut-Ex auf die Transmission wirkt. Tatsächlich sind Fed und EZB gut beraten, die Nebenwirkungen ihrer Zinserhöhungstherapie nicht zu unterschätzen. Einen Fehler macht man nicht dadurch wieder gut, indem man ins andere Extrem geht.

Nachdem die Geldpolitik viel zu spät auf die explodierende Inflation reagiert hat, dann aber zinspolitisch viel Gas gegeben hat, sollten sie jetzt auch nicht zu spät über ein Ende der Zinswende nachdenken. Immerhin hat die Inflation zuletzt nachgegeben.

Man sollte nicht zum zweiten Mal zu spät kommen. Denn die Übergänge zwischen grüner und verbrannter Konjunktur-Wiese sind fließend.